Tränen oder Kondenswasser?

ARGE KULTUR / CANTO MINOR

20/02/13 Roland Schimmelpfennig und Justine del Corte haben mit „Canto minor“ eine poetisch-absurde Annäherung an Pablo Neruda versucht. Eine Österreichische Erstaufführung in der ARGEkultur.

Von Reinhard Kriechbaum

Malva ist die poetisch entschieden Begabtere in diesem eigenwilligen Doppel: Die Feuchtigkeit auf der dunklen Holzoberfläche einer Galionsfigur deutet sie als Tränen des Mädchens Maria Celeste. Spontan fällt ihr eine herzanrührende Story über deren Schicksal an der Seite eines alten Kapitäns ein. Er, Arturo, sieht eher den physikalischen Prozess der Kondensation. „Männer können grausam sein“, wenn sie am Gefühl und an der Phantasie so offenkundig anrempeln.

Arturo hat aber auch seine Leidenschaften. Die Beine von Malva, im Wechselspiel zu ihren unterschiedlich langen Röcken und der jeweiligen Sitzgelegenheit, das turnt ihn an. Kein Zufall also, dass die beiden oft gemeinsam Dienst machen.

Malva und Arturo sind Aufpasser im Haus von Pablo Neruda auf Isla Negra im pazifischen Ozean. Es gibt viel zu bewachen dort, denn Neruda war ein leidenschaftlicher Sammler. Und es fehlt nicht an Touristen. Die bekommen wir freilich nicht zu Gesicht. Roland Schimmelpfennig und Justin del Corte haben ihr Stück „Canto minor“ ganz auf jene beiden Protagonisten zugeschnitten, die logischerweise ganz nah an Pablo Nerudas Poesie sind - leben sie doch praktisch mit ihr und mit seiner Hinterlassenschaft. In seiner Gedankenwelt also. Dazu gehören Narwalzähne, aber auch Insekten, die Neruda in einem Zikadenhaus gesammelt, sprich aufgespießt hat.

Ein anregendes Ambiente also für poetische Querstände, in denen sich ein gehöriger Schuss leiser Ironie und akzentuiertem Witz auftut. So feine Sprachbilder – und zugleich so viel zum Lachen! Diese Grätsche kommt gut heraus in der Aufführung in der ARGEkultur. Bernadette Heidegger hat inszeniert und ganz unprätentiös den poetischen Zitate-Wust, den die Autoren den Theaterleuten anbieten, geordnet, aufgelockert, aufgelöst in kleine mehr oder weniger absurde und doch unaufdringlich geerdete Szenen. Das läuft alles wie selbstverständlich. Videoprojektionen spielen eine stimmungsfördernde Rolle, ebenso das Bühnenbild von Dagmar Lesiak (ein paar hängende Glas-Vitrinen deuten mehr an als sie zeigen). Und natürlich die Musik von Georg Brenner.

Daniela Meschtscherjakov ist Malva, die sich gerne eine altmodische Hornbrille aufsetzt und mit einem Buch – Neruda wohl, was sonst - in sich selbst zurückzieht. Sie kann grandios abweisend wirken und in der nächsten Sekunde sehnsüchtig, erwartungsvoll, fast kindlich offen. Arturo (Benjamin Lang) hat da einiges aufzulösen, aber er ist ja auch eine mehr als zwiespältige Figur. Wenn er erst mal anfängt zu erzählen von seiner mobilen Vergangenheit als Buschauffeur…

Der Stücktitel „Canto minor“ ist selbst Paraphrase, eine Anspielung auf Nerudas epischen „Canto general“. Eine Welt, ins liebenswürdige, aber auch bizarre Kleine verzerrt. Reizend die Szene mit der Trillerpfeife. Kolibri und Dinosaurier: Ein Pfiff, und die Lokomotive setzt sich in Bewegung. Da ist in einem Bild, in wenigen Sätzen und in ein paar Gedankensprüngen ein ganzer Kosmos umschrieben. Aber alles bleibt letztlich leicht ins Absurde gekippt, nicht wirklich greifbar. „Mit den Anden ist nicht zu spaßen“, sagt Pablo Nerudas Mutter aus dem Off. Aber „dafür, dass Du ein Fisch bist, hast Du viel geleistet“.

Weitere Vorstellungen heute Mittwoch (20.2.) sowie am 6. und 7.3. im Studio der ARGEkultur - www.argekultur.at
Bilder: ARGEkultur / Wolfgang Lienbacher