Hoffnungslos ausgeliefert?
HERBSTTÖNE / OLEANNA – EIN MACHTSPIEL
13/11/11 Über das Stück von dem amerikanischen Bühnenautor und Filmemacher David Mamet könnte man streiten – nicht aber über die brillante Aufführung durch Diana Ebert und Jörg Lichtenstein im Rahmen des Festivals „Herbsttöne“ am Samstag Vormittag (12.11.).
Von Reinhard Kriechbaum
Sie versteht ganz und gar nichts in der Vorlesung und verbockt alles. Behauptet sie jedenfalls, die Studentin, die in einem Privatissimum beim Professor vorspricht. Es ergibt sich ein Gespräch, und der Professor lässt en passant ein paar persönliche Bemerkungen einfließen, ein paar Gedanken über die Position des Lehrers und sein tief sitzendes Unbehagen darüber. Viel würde sich der Professor ersparen, wenn er nur genauer auf die Körpersprache der jungen Dame achten würde. Denn die ist – das argwöhnt man bald – sehr gezielt drauf aus, ihn erpressbar zu machen. Fast hysterisch wirft sie sich ihm schließlich an die Brust – und er wird nachher in einer Anklageschrift etwas von sexueller Belästigung, von Nötigung gar lesen müssen. Und er wird aus allen Wolken fallen und nicht wissen, wie ihm geschieht.
1992 hat David Mamet „Oleanna“ geschrieben. Um die erotische Nahbeziehung zwischen Professor und Studentin geht es eigentlich nur am Rande, sondern vor allem um die Frage nach der Macht an sich. „Die Jugend steht praktisch unter Naturschutz“, sagt der Professor einmal, und er glaubt das wirklich. Ist der Professor, einfach weil er oben ist in der Hierarchie, automatisch der Böse? Übt die Studentin persönliche Rache oder betreibt sie ein ausgefeimtes Spiel, in dessen Verlauf der Professor als Opfer herhalten muss für das System als solches? Der Autor ist ein Achtundsechziger – und sah als solcher in den neunziger Jahren schon recht alt aus. Andrerseits: Das sich hier entwickelnde „Machtspiel“, das jede political correctness ad absurdum führt, könnte sich jederzeit wiederholen.
Präzis hat Regisseurin Amélie Niermeyer die Feinmechanik zwischen den Figuren herausgearbeitet, Jörg Lichtenstein und Diana Ebert entwickeln scharfe Psychogramme. Dass es die junge Dame faustdick hinter den Ohren hat, dass sie auf Systemkritik und Bloßstellung des Professors aus ist, wird bald klar – dem Zuschauer, nicht dem Professor, der so gefangen ist in seiner Denkwelt, dass er völlig chancenlos hineinrasselt ins Verderben. Die Sache kostet ihn die professorale Karriere. Amélie Niermeyer und Kai Ohrem haben den Text drastisch verdichtet. Das Einkürzen auf eine knappe Stunde Spieldauer hat gewiss nicht geschadet.
Zwei Stühle, zwei Pulte – nichts sonst, alle Konzentration gilt dem blendend getimten Kammerspiel. Jörg Lichtenstein ist seit diesem Herbst Professor für Schauspiel am Mozarteum, Diana Ebert eine immens begabte Studentin im zweiten Jahrgang. Hoffentlich bleibt es nicht bei dieser einen Aufführung. Sie wäre es wohl wert, in Serie zu gehen.