Milo Rau wird Intendant der Wiener Festwochen

HINTERGRUND / MILO RAU

27/01/23 Vor einigen Jahren wollten die Festpiele ihn beauftragen, eine Neu-Fassung des Jedermann zu schreiben. Weil Milo Rau ein intelligenter Mensch ist, ist er nicht darauf eingestiegen. – Der Theatermann ist nun der designierte Leiter der Wiener Festwochen.

Von Heidemarie Klabacher

Herausgekommen ist damals also kein neuer Jedermann, aber eine höchst bemerkenswerte Everywoman. Da hat Milo Rau eine Frau filmisch auf die Bühne geholt, die dem Tod geweiht war. Eine solche Vorgehensweise ist typisch für den Regisseur, für den Inklusion und politische Wachheit auf dem Theater nicht nur Zeitgeist-Erscheinung sind, sondern ein ehrliches Anliegen.

Milo Rau folgt Christophe Slagmuylder, der seinen Vertrag vorzeitig beendet und zurück in seine Heimatstadt Brüssel geht, als Intendant der Wiener Festwochen. Das gab die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler heute Freitag (27.1.) bekannt. Er übernimmt die künstlerische Leitung des Festivals mit Juli 2023.

„Ich kenne keine andere Stadt, die so brennt fürs Theater wie Wien und freue mich deshalb unglaublich über meine neue Aufgabe“, zitiert die Wiener Rathauskorrespondenz den designierten Leiter: „Ich kann es kaum erwarten, an die große Tradition der Wiener Festwochen anzuknüpfen und ein mythisches, gewaltiges, umstrittenes Theater-Fest zu schaffen. Es sollen Festwochen gemeinsam mit allen und für alle werden: ein vielstimmiges, formal diverses, leidenschaftliches und kämpferisches Welttheater. Ein Fest für Wien und die Welt.“

Vor zwei Jahren haben die Festspiele bei Milo Rau um eine Neufassung des Jedermann angefragt. Der hat zwar zuerst nein gesagt, sich dann aber doch bitten lassen – und gemeinsam mit der wunderbaren Schauspielerin Ursina Lardi nun mit Everywoman etwas Leises, Eindringliches, Nachhaltiges geliefert“, schrieb DrehPunktKultur im August 2020 nach der Festspielpremiere von Everywoman in der Szene Salzburg. „Ihre Jederfrau haben die beiden in Helga Bedau gefunden. Es hätte auch ein Jedermann sein können, denn um einen feministischen Zugang geht es hier ganz und gar nicht.“ Zwischen Ursula Lardi auf der Bühne und der Dame on screen entwickelte sich in der Produktion ein leises Zwiegespräch. „Wie ist das für sie, sich jetzt in einem Theaterstück wieder zu finden, fragt Lardi. „Seltsam“, sagt Frau Bedau. „Vor allen Dingen, weil ich nicht weiß, ob ich bei der Premiere noch da sein werde“.

Milo Rau ist der Leiter des Theater NTGent, schreibt Kolumnen, Essays, lehrt Regie, Dramatik und Kulturtheorie an verschiedenen Universitäten und Kunsthochschulen. 2007 gründete er die Produktionsgesellschaft International Institute of Political Murder. Historische und gesellschaftliche Konflikte und Themen stehen im Fokus. Erinnert sei an Breiviks Erklärung 2012, Kongo Tribunal 2017 oder an das Projekt Orestes in Mossul 2019 in den Trümmern der Stadt.

Milo Rau wurde 1977 in Bern geboren und studierte Soziologie, Romanistik und Germanistik in Paris, Berlin und Zürich u. a. bei Pierre Bourdieu und Tzvetan Todorov. Seit 2002 entstanden über fünfzig Theaterstücke, Filme, Bücher und Aktionen, die in über dreißig Ländern zu sehen waren. Seit der Spielzeit 2018/19 ist Milo Rau Künstlerischer Leiter des NTGent.

Rau erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie 2016 als jüngster Künstler überhaupt den Preis zum Welttheatertag des Internationalen Theaterinstituts oder 2017 die Saarbrücker Poetik-Dozentur für Dramatik. Seine Theaterstücke und Filme wurden in über zehn Ländern mit Kritikerpreisen ausgezeichnet, 2018 erhielt Milo Rau für sein Gesamtwerk den Europäischen Theaterpreis. 2019 folgte die Ernennung zum ersten Ehrendoktor des Theaterdepartments der Lunds Universitet (Schweden) und 2020 zum Ehrendoktor der Universität Gent. Für seine literarische Arbeit erhielt Milo Rau u. a. den Hörspielpreis der Kriegsblinden, den Berner Literaturpreis, den Peter-Weiss-Preis und zuletzt den Gerty-Spies-Literaturpreis.

36 Bewerbungen hat es um den Festwochen-Leiter gegeben. Die Findungskommission bestand aus Karin Bergmann (ehem. Direktorin Burgtheater, jetzt Salzkammergut Festwochen Gmunden), Arne Forke (Theaterreferent, Büro der Stadträtin), Rudolf Scholten (Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener Festwochen), Susanne Moser (Intendantin und Geschäftsführende Direktorin der Komischen Oper Berlin), Matthias Pees (Intendant Berliner Festspiele) sowie Robert Dressler (Referatsleiter Darstellende Kunst, Kulturabteilung der Stadt Wien). Fünf Bewerber und eine Bewerberin (wobei es sich um vier Einzelbewerbungen und eine Bewerbung als Zweierteam handelte) waren zum Hearing eingeladen.

Bild: Salzburger Festspiele / Hannes Schmid