Chatprotokolle oder Liebesbriefe – alles kommt heraus

LANDESTHEATER IM OVAL / EFFI BRIEST

12/10/22  Effi Briest. Fontanes Roman aus dem bürgerlichen Bildungskanon überzeugt auf der Bühne des Oval als beeindruckende Sololeistung. Lisa Fertner schaukelt die Hauptrolle – und sich selber emotional auf – anhand von Bühnenfassung und Inszenierung von Falco Blomes. Aber Effi!

Von Erhard Petzel

Es geht bei Effi um die Vernichtung eines Kindes durch Konventionen, denen es nicht gewachsen ist. Müsste das zur Aufführung zusätzlich heruasgearbeitet werden, so kann diese doch ein Anstoß für etliche Belange sein. Vielleicht war für diese Produktion der Weg, wesentlichen Text auf eine Solorolle einzudampfen, nicht übermäßig glücklich. Eine offene Form mit Themenschwerpunkten ließe da mehr Freiraum.

Lisa Fertner spielt ihre Chopins selbst auf dem Flügel, der auch als Räkelplatz imaginierter Sinnlichkeit während der Schlittenpartie missbraucht wird. Die roten Samtvorhänge schieben sich auf und legen einen Kleiderhaken mit schwarzem Kleid frei für Baronin Innstetten, als welche die jugendliche Backfisch Effi von ihrer Schaukel zu springen hat. (Wir erinnern uns grob: Instetten hat Effis Mutter eins nicht gekriegt und steht eine Genaration wieder auf der Matte und bekommt deren Tochter zugeschachert. Diese wird tatsächlich ohne gefragt zu werden natürlich, von der Schaukel aus dem Garten geholt und „verlobt“. Eine Affäre fliegt auf. Duell unter Ehrenmännern. Effi wird als geschiedene Frau ins Elend verbannt).

Ein blaues Fauteuil komplettiert die karge Ausstattung, die entsprechend ins Licht gesetzt wird. Das reicht für Effis Erkenntnis, dass das Leben wie eine Tafel ist, deren Runde man genießt, aber auch nicht allzu viel versäumt, wenn man sie vorzeitig verlässt. Das Publikum sah es positiver und dankte für die Leistung mit warmem Applaus.

Im Großen und Ganzen funktioniert Auszug aus dem Roman über monologisierte Dialoge und der Einmischung einer Erzählerin insgesamt passabel. Manches weniger Einsichtige wirkte bei der Premiere am Dienstag (11.10.) dennoch fragwürdig. Wenn etwa die Bühnen-Effi die Rolle des Geheimrats Wüllersdorf übernimmt und Innstetten nach erfolgtem Duell zu Major Crampas bittet, der eine letzte Botschaft anhaucht. Einerseits hat Effi mit der Szene nichts zu tun. Andrerseits fehlt mit der Reflexion Innstettens auf diese Begegnung die Quintessenz daraus.

Natürlich kann so ein Bühnenformat nicht die plastische Tiefe und Breite des Prosatextes erreichen, zumal Fontane als Erzähler selbst ein bedeutsamer Part darin ist und für inhaltliche Aussagen formale Finessen entwickelt. Die Charaktere stehen nie nur für sich allein, sondern sind zum epischen Geflecht in den Kontext der Leserschaft verwoben, was heute eine gewisse Problematik für die allgemeine Verständlichkeit bedeutet. Schulklassen werden deshalb die Aufführung zu schätzen wissen, erspart sie ihnen wahrscheinlich einen guten Teil der Lektüre. Schönheit und Kraft des Ursprungs müssen dennoch wenigstens angelesen werden, um in eine zu heutigen Verhältnissen sehr verschiedene Welt und ihre Empfindungsweisen einzutauchen.

Warum dann der Aufwand für einen Text aus dem vorvorigen Jahrhundert? Abseits rascher Deutung bieten Stoff und literarische Darstellung erstaunliche Folien für aktuelle Tendenzen und Befindlichkeiten. Allen Figuren gebricht es an der Konsequenz, aus vagen Erkenntnissen zu ihren Inszenierungen selbstbewusste und eigenständige Entwicklungen anzustoßen. Ehre ist da nur eine Unterkategorie, die mit einem sinnlosen Duell als hohle Phrase gebrandmarkt ist. Es geht aber um Haltung und Form, die in unterschiedlichen Kreisen auf sehr unterschiedliche Weise gelebt und zelebriert werden.

Ein höchst aktueller Diskurs, dessen politische Verifizierung z.B. im Versagen der Spitzenvertretung der EU vor einem türkischen Autokraten manifest wurde. Im Kontrast zum Verlust der alten Umgangsformen dann die zeitgeistigen Empfindlichkeits-Bewegungen, in denen Haltungen und moralisches Sektieren ganz andere inhaltliche Einbindungen erfahren. Aber auch das Ungeschick beim Speichern von Botschaften. Wer denkt beim fatalen Schrifttum zwischen Crampas und Effi nicht an die leidigen Affären mit Chatprotokollen.

Dagegen das Menschliche, die Komplexität unserer Seelenlandschaften, vom alten Briest generalisierend als weites Feld verortet. An dem man freilich scheitert. Die Fragen der alten Eltern nach dem Tod Effis zu ihrer Schuld gehen ins Leere, das Feld ist zu weit. Im Konversationston wird menschliches Wesen abgeklopft, Glück, Übermut, Langeweile, Natürlichkeit, Grausamkeit, Moral, Sitte, Ressentiment, Repräsentation, Schuld und Sünde, Liebe und die Unfähigkeit, das Eigentliche sprachlich zu fassen; Institutionen wie Ehe; Ideale wie Authentizität.

Effi Briest - weitere Auffühungen im Oval im Europark bis 30. November - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT / Christina Baumann-Canaval