Der Muslim und das Schwein in der Grillwurst

SALZBURGER STRASSENTHEATER / EXTRAWURST

15/07/22 Gar nicht so selten stellt die Wirklichkeit dem eigenen Moralanspruch ein Bein, und dann wird die selbstverordnete politische Korrektheit als anmaßende Inszenierung ad absurdum geführt. Extrawurst ist in diesem Sinn der Inbegriff zeitgemäßer Komödie.

Von Erhard Petzel

Die „Dramödie“ von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob geißelt punktgenau geistige Alltags-Absurditäten, indem sie unerträglicher Schmerzverursachung den Spiegel der Lächerlichkeit vorhält. Sie ist ein Vexierspiel zwischen der Sprachmacht des Ressentiments und der makabren Wahrheit hinter und vor den Filtern mentaler Anschauung.

Dieser philosophische Anspruch wird heruntergebrochen auf die lapidare Szenerie einer Mitgliederversammlung eines Tennisvereins. Obmann Herbert, Traumrolle für Alex Linse, führt die Versammlung äußerst rigid. Er würgt nicht nur Diskussionen prinzipiell ab, sondern auch die Ausführungen seines Stellvertreters Matthias (herrlich stark präsent: Alexander Gerlini). Der setzt sich dann doch noch durch und stellt einen neuen Supergrill vor. Das ist offenbar sein Chefprojekt. Es gibt den Anstoß zu fatalen Turbulenzen. Denn ein Vereinsmitglied ist Muslim und unersetzliche Sportstütze des Vereins im Paarbewerb. Jakob Kücher, für die Rolle des Erol Oturan vorgesehen, hat Covid erwischt, und so ist bei der Premiere Paul Clementi eingesprungen. Zu kurzfristig, um den Text auswendig zu lernen. So hatte er am Donnerstag (14.7.) auf der Stiegel-Wiese noch das Textbuch in der Hand, aber das hat die Spielqualität nicht wirklich gestört.

Melanie (mit verbissener Gutmenschen-Verve Karoline Troger) wirft sich für ihren Vereinspartner in die Schlacht und eröffnet diese mit dem Hinweis auf die Unverträglichkeit von Muslim und Schwein in der Grillwurst. Die Debatte um Anzahl und Qualität von Grillgeräten als Zeichen demokratischer Fundierung artet in ein generelles Hickhack um kulturelle Zuordnungen aus, bei dem jeder sein Fett weg bekommt. Zwar erntet die Zurückweisung der rassistischen Ansichten Matthias’ als neofaschistisch (mit entsprechender parteipolitischer Punzierung) Szenenapplaus, doch wird in diesem Stück eine einfache Gut-Böse-Strategie gründlich ausgehebelt. Selbst der Muslim Erol selbst, zunächst völlig desinteressiert an der politischen Korrektheit des Grill-Problems und potentielle Opfer-Figur, wird sich seinerseits als waschechter Rassist entpuppen. Und Melanies Gatte Lukas (Thomas Pfertner) wird als aufgeklärter Atheist, Veganer und Sprachempfinder auch einmal gründlich zuschlagen, und das nicht nur verbal. Alle entschuldigen sich brav und alle treten einmal in höchster Erregung aus.

Die Pause nutzt man für Interaktion, um das Publikum als versammelte Vereinsmitglieder zu bearbeiten. Bläserensembles wirken heuer mit, was ihnen im Spielverlauf eine Runde Bier einbringt. Die Musiker ändern sich je nach Spielstandort, sie wurden in Stadt und Land rekrutiert. Der Wagen, ein grasiges Oval, öffnet sich zum Publikum mit Tisch, Pokalregal und Getränkeautomat, ein ausziehbares Podium erweitert die Bühne (Alex Linse, Harald Schöllbauer). Einfache Requisiten ermöglichen durchaus spektakuläre Effekte (Kerstin Glachs). Die pointierte Inszenierung von Georg Clementis bedarf vielleicht einer Warnung für Humor befreite Zuschauer mit woker Agenda. Ihnen möge Herberts Motto simple Bestätigung sein: Sarkasmus ist das Tor zur Hölle. Ausgerechnet Herbert, der despotische Obmann mit Dampfwalzen-Manieren, wird den versöhnlichen Schluss moderieren, von ausländischen und österreichischen Idioten sprechen und endlich seinen Österreicher-Türken-Witz anbringen. Der von allen proklamierte Neuanfang trägt die alten Monstermuster in sich. Ausweg: Fünfe grad sein lassen. Sehr österreichisch, besonders wenn die Kollekte freiwilliger Mitgliedsspenden alle Kontrahenten vereint.

Aufführungen bis 7. August in Stadt und Land Salzburg – Zum Terminflyer 2022www.kulturvereinigung.com
Bilder: Salzburger Kulturvereinigung / Leo Fellinger
Zum Vorbericht 42 mal Extrawurst