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Die Quintessenz des Lebens

ADVENTSINGEN / DER STERNGUCKER

29/11/19 Wenn das Reich Gottes auf Erden ein ewiger Karneval wäre, wäre das Salzburger Adventsingen sein Hauptprogramm. Im Großen Festspielhaus kann „Der Sterngucker“ bis 15. Dezember aber noch im Diesseits besucht werden.

Von Franz Jäger-Waldau

Im Nachhinein fühlt sich die Erfahrung des Salzburger Adventsingens wie ein mittelharter Trip an. Vielleicht war es das Genialste, vielleicht das Bizarrste auf der Welt; vielleicht irgendwie auch beides. Ob einem das Salzburger Adventsingen bekommt, kommt ein wenig darauf an, wer man ist. Vor allem aber erwartet das Salzburger Adventsingen, dass man jemand ist, der sich ihm bedingungslos ergibt. Wer das nicht tut, wird unausweichlich das Schicksal eines Verirrten teilen, der in Bangkok zwei Blöcke zu weit geht und sich verstört, aber neugierig vor dem Eingang zum Bayrischen Weißwurschtgasthof wiederfindet. In jedem Fall aber ist das Salzburger Adventsingen jede Zeile, jeden Takt wert.

Schon das Bühnenbild zeichnet die Schräge der Lage vor. Es lässt kaum waagrechte Linien zu. Ähnlich fremd wirkt auch das Publikum: Im Gegensatz zu den gängigen Theatergängern, scheinen dies Menschen zu sein, die aufrichtig froh sind, hier zu sein. Menschen, für die es eine Rolle spielt, was an diesem Ort passieren wird, und die ihn anders verlassen werden, als sie ihn betreten haben. Aber der Künstlerische Leiter Hans Köhl bricht mit einer Vorrede in das Raunen und zitiert vielleicht nicht ganz zu Unrecht Schuberts Deutsche Messe: „Staunen nur kann ich und staunend mich freu'n.“

Die Rahmenhandlung wird anhand eines alten Hobbyastronomen und seiner Enkelin erzählt. Die beiden sprechen zuerst über die Weihnachtsgeschichte von Maria und Josef, als die Diskussion über die theomorphische Komponente der Unbefleckten Empfängnis allerdings zu kopflastig wird, entscheidet sich das Mädchen, den Rest der Geschichte selbst zu erträumen.

Spätestens an dieser Stelle ist klar, dass die Dinge, die hier auf dieser Bühne geschehen, funktionieren. Es funktionieren sogar Dinge, die sonst nirgendwo funktionieren könnten. Und umgekehrt: Es spielt hier keine Rolle mehr, dass die Erzählung von Josef (Bernhard Teufl) und Maria (Simone Vierlinger) bei der Hälfte fallen gelassen wird. Dass Elisabeth für nur eine einzige Szene eingeführt wird und danach nie wieder auftaucht. Dass Pathos oft auf dem Grillspieß serviert wird. Oder auch, dass Josef zu Maria „Auf bald“ sagt.

Klemens Verenos Kompositionen sind dabei bewusst epigonal angelegt, aber mit filmmusikalischen Elementen verziert. Sie begreifen die eigentliche Feinheit des Volksmusikalischen und berühren es vorsichtig an empfindsamen Stellen. Die Aura erlaubt dem Stück zuletzt, ein erschreckend talentiertes Kinderorchester musizieren zu lassen.

Das Salzburger Adventsingen ist sicher ein Beispiel für ein Format, das zu groß für seine Form ist. Am Ende fragt sich, ob hier die Schrägen von Schrägen wieder ausgeglichen werden. Aber wenn zum Schrecken der Widerständigen das Publikum sich geschlossen zum Andachtsjodler erhebt, da hinten der ältliche Herr das letzte seiner Stimme spannt und das Mädchen in der Vorderreihe heimlich seine Tränen in den Ärmel wischt, bleibt eigentlich recht wenig darauf zu antworten übrig. „Jetzt haben wir viel zum Nachdenken bekommen“, sagt eine Dame zur anderen beim Rausgehen. Das Festspielhaus horcht kurz auf.

Weitere Vorstellungen bis 15. Dezember - Das Adventsingen ist grundsätzlich ausverkauft, es lohne sich aber oft, kurzfristig nach Rest- oder Kommissionskarten zu fragen, so das Heimatwerk - heimatwerk.at
Bilder: Neumayr

 

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