Würde Wert Würde werten

DIE UNSICHTBARE HAND / SCHAUSPIELHAUS

13/05/19 „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde.“ Würde aber Nick Wright seine Würde einfordern, wäre der Preis dafür sein Leben. Denn der Zweck seines Leben ist, dessen Preis zu bezahlen. Ayad Akhtars Die unsichtbare Hand wirft einen amerikanischen Broker in die Fänge von Terroristen und experimentiert mit den Folgen.

Von Franz Jäger-Waldau

„Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist ... das hat eine Würde.“ Kant meint damit den Menschen. Der Mensch Nick Wright (Bülent Özdil) hat Würde. An Händen und Füßen zusammengekettet hat er Würde. Auf dem Boden seiner Zelle schlafend hat er Würde. Unter ständiger Todesdrohung und unbezahlter Zwangsarbeit hat er Würde. Denn nur er selbst ist sein Lösegeld wert.

Ayad Akhtars Stück Die unsichtbare Hand stellt die Frage: Wie kommt das Böse zu Geld und wie geht es damit um? Um die Ausgeburt einer Kreuzung von Grauen und Kapitalismus zu betrachten, müsste es für den Normalbürger doch eigentlich reichen, am Freitagabend einen Seitenblick ins Gemüseregal eines Supermarktes zu verlieren (obwohl schimmlige, aus der Ukraine importierte, sterile Bio-Melanzani für 5,99 das Stück schon auch was für sich haben). Aber es geht offenbar noch schlimmer: Ein amerikanischer Börsenmakler in der Gewalt einer islamistischen Terrorzelle. Zehn Millionen Dollar ist der der Preis für sein Leben, aber das ist es Amerika nicht wert. „Man erreicht gar nichts, wenn man mir den Kopf abschlägt.“

Nicks wahrer Wert wird daher der, den er für andere schafft: Er darf selbst für sich bezahlen, indem er für die Macht arbeitet, die ihn quält - ein jedem post-paradiesischen Erbsünder bekanntes Bild. Zumindest gibt es in Nicks Fall noch vor der Apokalypse Hoffnung auf Wandel: Er versucht, sein eigenes Lösegeld durch Spekulation zu erwirtschaften.

Die sich um ihn und sein Talent schlingenden Kräfte sind selbst chaotisch und richtungslos. Sein Wächter etwa ist nur ein Gefangener anderer Wächter. Allahs Worte klingen in allen ihren Stimmen anders, ihr fanatischer Glauben hängt wie ein babylonischer Turm vor der Sonne. Die unsichtbare Hand greift auf die Techniken des amerikanischen Realismus zu: detailreiche Füllungen, glaubhafte Motivationen und lange Exkurse ins Finanzsystem, die leider schleppend, nicht handlungsfördernd wirken. Ein Großteil des Stücks wird so zu einer wirtschaftswissenschaftlichen Einführungsvorlesung, deren Stoff eigentlich auch genug für einen kurzen Scherz gewesen wäre. Die interessante Exposition erlaubt dafür auch ungewohnte kulturelle und geschichtliche Diskurse: Ein Imam (Antony Connor), der Marx plagiiert: „Geld ist das Opium des Volks“. Ein agnostischer Broker, dessen Moral von Terroristen in Frage gestellt wird.

Ayad Akhtars Stück verhandelt dialektisch gegensätzliche Ideologien, kommt dabei aber - wie sein Schöpfer - nicht über das schwarzweiße Schachbrett hinaus: „Amerika hat bis heute nie gelernt, sich dem Tod zu stellen. Was war die amerikanische Reaktion auf den Terror vom 11. September? Dies: Wir zerstörten die Welt. Wir zerstörten den Nahen Osten! Dies ist eine junge Kultur mit zu viel Macht. Die Briten hatten wesentlich mehr Zeit, sich an den Umgang mit der Macht zu gewöhnen“, entweicht es dem 48-jährigem Autor in einem Gespräch mit dem „Spiegel“ 2017.

Bülent Özdils methodischer Ansatz schafft es allerdings vom ersten Moment an, den glatten Nick Wright greifbar zu machen. Sein Gesicht bleibt nahtlos mit der Rolle verwoben, als gäbe es gar keine andere Möglichkeit. Die Bedrohung um ihn herum ist dagegen in der Inszenierung von Florian Hackspiel durch ihre Offensichtlichkeit völlig entschärft: Die stille Unheimlichkeit einer dissonanten Ideologie (Islamismus) wird von den Figuren für harmonisches Geschrei geopfert. Dennoch fährt das Stück sicher auf den starken, wenn auch formtreuen Schienen der Erzählung.

Fraglich ist aber, womit die Schauspieler ein solches Bühnenbild verdient haben. Ausstatterin Annett Lausberg verwechselt scheints Schlichtheit mit Beschränkung. Nicks Gefängnis ist ein dünner, zu beiden Seiten offener Bogen auf einer Drehscheibe, der kein Gefühl für Begrenzung oder Raumgefühl erlaubt. Die restlichen Figuren müssen ungelenkig auf die erhöhte Bühne springen und in weiten Bögen dahinter ab gehen. Und für jeden wackeligen Schritt nimmt sich Die unsichtbare Hand zumindest in dieser Inszenierung zu ernst.

Weitere Vorstellungen im Schauspielhaus bis 27. Juni - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Jan Friese