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Von eingeklemmten Paradiesvögeln

AGE KULTUR / OHNETITEL

06/12/18 Der Harlekin hat eine Totenkopfmaske, aber wenigstens rote Lippen aufgemalt. Wenn schon Frohsinn, dann gehörig morbid. „ohnetitel“ zeigt in der ARGEkultur ein rätselhaftes Lachstück: Intakte Bewohner desolater Städte.

Von Reinhard Kriechbaum

„ohnetitel“, das ist eine Theatertruppe, die gerne große Fragen in handsame Theater-Pakete packt. Meist agiert sie nicht auf Bühnen, sondern draußen, im konkreten Lebensumfeld seines Publikums. Oder genauer: Man holt sein Kultur-Publikum in die Lebensumfelder solcher Menschen, bei denen es mehr ums Überleben als um die Kultur geht. Wie mögen die „desolaten Städte“ aussehen, deren „intakte Bewohner“ dem neuen Stück (für das man mit dem Schubert Theater Wien kooperierte) den Namen gegeben haben?

Zwei traurige Clowns sehen wir da, mal vor, mal hinter der Bühne des „Varieté zum Kap der guten Hoffnung“, die bekanntlich zuletzt stirbt, so wie die schwebende (oder doch nur schwäbelnde?) Jungfrau. Wer an deren Ende Schuld trägt, darüber diskutieren die beiden Herren (Thomas Beck, Christoph Bochdansky) einmal. Den ganzen Abend hindurch perpetuieren sie ihren Slapstick und ihre faulen Zauberkunststücke irgendwie routiniert-lustlos, meist mit ernsten Gesichtern. Ihre Erinnerung an – vielleicht – bessere Zeiten: „Alle begeistert. Applaus. Erfolg.“

Da ist noch jemand auf, meist hinter der Bühne: „Wahrheit, Schein, Täuschung – worin liegt der Unterschied“, fragt die Dame (Dorit Ehlers), die sich aus dem Kostüm des Totenkopf-Clowns herausgeschält hat. Sie dürfte die Patronin sein in diesem Varietè. Ihr Kostüm mit Feder-Zierrat hat auch schon mal bessere Zeiten gesehen. Die Zeiten scheinen schlecht zu stehen für Paradiesvögel. Diese hier haben jedenfalls wenig Bewegungsfreiheit, „eingeklemmt zwischen dem Ende der Welt und dem Abgrund, der sich dazwischen auftut“. Schlechte Startposition für einen „dreifachen Gefühls-Salto aus dem Stand“.

Fantasie-Landkarten spielen eine Rolle, und zwei monströs-putzige Puppengespenster. Im Programmfolder kann man lesen, dass das Fremde den Menschen schon immer Angst gemacht habe und deshalb die Meere jenseits der vertrauten Kartographie von allerlei Ungeheuern und Fabelwesen bevölkert worden seien. Das könnte einen Zugang schaffen zu diesem leisen, aber im Detail lustvoll ausgmealten, immer wieder mit Wort- und Gedankenspielen gespickten Pandämonium. Wahrscheinlich ist die Angst vor dem Fremden eine Kopfgeburt, fatalerweise im eigenen Kopf. Charmant, hintersinnig und sogar witzig, wenn solches der der Kreativwerkstatt von Kindsköpfen enstprungen scheint.

Diese Produktion von „ohnetitel“ ist jedenfalls ein Theater, das die Nachdenklichkeit subkutan verabreicht. Pure Poesie anstatt Weltverbesserei. Solchen Paradiesvögeln folgt man gern. Von deren Ankunft in Europa 1522 erzählt man auch. Nicht davon, dass der Salzburger Erzbischof Matthäus Lang von Wellenburg 1523 Adressat des Briefes war, in dem es heißt, dass den Paradiesvögeln die Füße und Beine fehlten und sie niemals landeten, sondern so lange flögen, bis sie sterbend zur Erde fielen. Hat man in Salzburg besondere Angst gehabt vor Paradiesvögeln außerhalb der Kunst- und Wunderkammer?

Der Theaterabend hinterlässt uns nicht nur ohne Antworten. Es bleibt auch offen, welche Fragen man an ihn stellen könnte. „Kein Ende in Sicht, aber anfangen kann man damit auch nichts.“ Das sagen nicht wir, sondern jene zwei kleinen Stabpuppen, in denen wir die beiden Alten aus der Muppet-Loge zu erkennen glauben.

Weitere Aufführungen am 6. und 7. Dezembr um 19.30 Uhr und am 8. Dezember um 11 und 19.30 Uhr in der ARGEkultur – www.argekultur.at
Bilder: ohnetitel / Wolfgang Lienbacher

 

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