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Kein Mitleid unter dieser Nummer

TOIHAUS / HEILIGE LÜGEN / HINTERGRUND

13/03/18 Eine verlassene Geliebte am Telefon. Verzweifelt versucht sie den Ex zurück zu gewinnen. Alle Spielarten von Manipulation und Überredungskunst, von Kampfeslust und Selbstverleugnung kommen zum Einsatz. Und immer wieder wird die Verbindung unterbrochen... Uraufgeführt wurde der Monolog „Die menschliche Stimme“ - La voix humaine - von Jean Cocteau 1930 im Théâtre Francais in Paris.

Von Heidemarie Klabacher

Manche Stoffe liegen „in der Luft“. Liegt es am Handy-Zeitalter, dass ein selten gespieltes Stück aus der technischen Steinzeit – telefoniert wird nicht nur im Festnetz, sondern sogar noch via Fräulein vom Amt, Telefonzentrale und Viertelanschluss – gleich zwei Mal innerhalb weniger Monate im Kalender steht?

Erst Ende Jänner dieses Jahres bot die Oper Graz mit dem Operneinakter „Die menschliche Stimme“ des französischen Komponisten Francis Poulenc auf den Text von Jean Cocteau einen grandiosen Einblick in die Spielarten der Verzweiflung. Es war ein grandioses Setting in der gläsernen „Needle“ hoch oben am futuristischen Kunsthaus Graz: Die Sopranistin Margareta Klobučar bloßfüßig und im weißen Herrenhemd - offensichtlich aus den Beständen des Ex-Geliebten – führte nur von einer Pianistin begleitet hinab in die Höllenkreise der Eifersucht und Verlassenheit. Die Komposition von Francis Poulenc, im Original für Sopran und großes Orchester, ist ein virtuoses Paradestück für eine Sängerin, auch in der Klavierfassung eher opulent postromantisch, denn zeitgenössisch modern. In jedem Fall ist die Vertonung ein geniales Vehikel der künstlerischen Distanzierung von dem, was schon Heinrich Heine „eine alte Geschichte“ nannte: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen, die hat einen Andern erwählt, der Andere liebt eine Andre und hat sich mit dieser vermählt…“

Zu Heines Zeiten konnten Liebende oder Nichtmehr-Liebende ihre Befindlichkeiten nur mittels Gespräch oder Brief diskutieren. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren griffen Mann und Frau zum Hörer (meist nicht mehr aus edlem Bakelit sondern billigem Plastik) und hängten sich ins Festnetz, mussten sich also zumindest auf ein persönliches Gespräch einlassen. Heutzutage reichen im Ernstfall ein paar Tipper auf’s Smartphone. „Früher musste man zu Hause sein, um den ersehnten Anruf nicht zu verpassen. Aber selbst wenn man einen solchen Anruf heutzutage überall sehnsüchtig erwarten kann – das Aktuelle an dem Stoff ist, dass man durch dieses Warten seine Flexibilität aufgibt“, sagte die Sopranistin Margareta Klobučar im Vorfeld der Aufführung. „Einen Unterschied macht es auf jeden Fall, ob man sich etwas am Telefon sagt, also miteinander spricht, oder nur eine Nachricht schreibt.“

Ob Bakelit oder Android oder Rauchzeichen, das Thema ist aktuell wie eh und eh. Und nun machen sich in Salzburg die Schauspielerin Bernadette Heidegger und der Musiker und Regisseur Arturas Valudskis über den Stoff her. Unter dem Titel „Heilige Lügen nach Jean Cocteau“ gastiert die Produktion am Mittwoch (15.3.) und am Donnerstag (16.3.) im Toihaus.

Auch ohne Musik ist die Grundproblematik dieselbe: „Fragen von Lüge und Wahrheit stehen im Mittelpunkt: Was bedeutet Manipulation zwischen den Geschlechtern. Wo beginnt Manipulation und wo hört sie auf? Was sind die eingeübten Opfer-Täter-Rollen mit welchen Techniken der Beeinflussung wird gespielt? Wann wissen wir überhaupt, ob wir offen sprechen oder nicht? Ist die Wahrheit eine Frage des Moments?“ Das sind einige Leitfragen auch der Schauspielfassung und ihres Regisseurs Arturas Valudskis. „Das Stück wird aus einer einzigen langen Szene bestehen, die in ihrer Verdichtung die große psychische Not und Unausweichlichkeit der Situation verdeutlicht. Die Monotonie des Leidens, die Klaustrophobie der emotionalen Besessenheit wird so geradezu physisch spürbar, unterbrochen nur von der Unterbrechung der Telefonverbindung.“

Was der Mann am anderen Ende der Leitung seiner Ex zu sagen hat, können wir uns nur ergänzend dazu denken: Das Setting mit oder ohne Musik ist und bleibt ein Monolog für „1 Dame“, wie es beim Rechtsinhaber, dem Kiepenheuer Bühnenvertrieb, so treffend heißt. „Mir vorzustellen, was der Mann mich fragt, hat mir während der Proben sehr geholfen“, erzählte die Sopranistin Margareta Klobučar. Dass kann für die Schauspielerin nicht gänzlich anders aussehen: „Ich denke, dass aus vielen meiner Antworten klar wird, was er mich gefragt hat. Sonst wäre es nämlich wirklich schwer, sich den ganzen Text zu merken! Und bei den übrigen Stellen, die vielleicht unklar erscheinen. Da ist jeder aufgerufen, es selbst zu erahnen.“ In Graz hatte man – es ist ein offenes Ende – eher den Eindruck, die Frau vollende den angedrohten Selbstmordversuch. In Salzburg könnte das durchaus anders ausgehen: „Der Körper ist der Bedeutungsträger“, sagt Arturas Valudskis. „Am Ende steht die Frau, sie ermächtigt sich, drei Schritte hin zur Emanzipation…“

Heilige Lügen nach Jean Cocteau – zwei Aufführungen am Donnerstag (15.3.) und am Freitag (16.3.) jeweils um 20.02 im Toihaus – www.toihaus.at
Bilder: Nic Arthuras
Zur dpk-Kritik der Grazer Opern-Aufführung von „Die menschliche Stimme“
Hallo … man hat uns getrennt!

 

 

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