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Die Welt ist schlecht

LANDESTHEATER / WOZZECK

14/05/12 Die Bühne ein grauer Käfig. Waschbecken links und rechts. Ein Schreibtisch im Hintergrund. Ein heruntergekommenes Labor, in dem am lebenden Objekt Mensch experimentiert wird. Ein Wozzeck des Grauens. Ein Wozzeck der musikalischen, szenenischen und darstellerischen Superlative hatte am Freitag (11.5.) im Landestheater Premiere.

Von Heidemarie Klabacher

Normalerweise sitzt man in einer Aufführung von Alban Bergs „Wozzeck“ in der Haltung des Freaks, der auf Operngenuss aus ist. „Wozzeck“ nach dem Drama von Georg Büchner ist schon längst kein „Klassiker der Moderne“ mehr, sondern ein „Klassiker“, den man kennt. Glaubte man – bis zur Premiere am Freitag (11.5.) im Landestheater.

Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Leo Hussain spielt die Fassung für kleines Orchester von John Rea aus dem Jahr 1995 für 21 Instrumente. Das bedeutet also nicht nur eine zahlenmäßige Reduktion vom großen Orchester auf ein Kammerensemble, sondern eine tatsächliche Neu-Instrumentation.  Diese Fassung lässt die Struktur unangetastet, die neuen Instrumentalfarben machen das Werk zugleich opulenter und transparenter.

Auch eine konzertante Aufführung wäre ein unvergessliches Erlebnis gewesen. Das Mozarteumorchester präsentierte sich unter der Leitung von Leo Hussain als Spezialensemble für die Klassische Moderne, wie sonst als Mozart-Klangkörper von Weltrang. Aber es war - bei aller musikalischen Vielschichtigkeit und Farbigkeit - eben keine konzertante Aufführung.

Amélie Niermeyer hat Regie geführt und die Oper als großes Experiment, als Versuchsanordnung im Labor von Bühnenbildnerin Stefanie Seitz angelegt. Wozzeck ist quasi das Hauptobjekt, das Bohnen fressen oder den Harn halten muss. Aber auch die heruntergekommen Soldaten werden als Versuchskaninchen missbraucht, werden körperlichen Übungen unterworfen, müssen Urinproben abgeben (verschämt an den Waschbecken stehend), müssen grausliche Mixturen trinken… Der Mensch dieser Inszenierung ist zum Objekt degradiert. Wozzeck wird dabei stärker denn je das Urbild des geknechteten, missbrauchten Menschen. Für ihn gibt es keinen Ausweg. Ja, der Lebensraum kommt ihm abhanden, der Boden wird ihm - im Wortsinn - unter den Füßen gegezogen: die Rückwand kommt im Laufe der neunzig  Minuten immer weiter nach vorne, der „Spiel-Raum“ wird immer enger. Dass ein Handwerker Waschbecken um Waschbecken abmontiert, fällt einem erst so richtig auf, wenn die Wand schon ziemlich weit vorne ist.

Dieser Wozzeck hat wahrlich keinen Ausweg. Er unterwirft sich ja freiwillig seinem Hauptmann und dem Doktor, denn er braucht ja das Geld, das er von ihnen bekommt, für seine Familie. Für Marie und das Kind.

Das Kind. Es muss noch vor allen erwachsenen Darstellern erwähnt werden: Elias Pappas ist während der ganze Aufführung auf der Bühne. Im Angesicht dieses Kindes wird der Missbrauch des Vaters durch die "Obrigkeit" – und im weitesten Sinne auch der Mutter durch den Tambourmajor – noch monströser und unmenschlicher als er ohnehin ist. Der Bub Elias Pappas hat eine Bühnenpräsenz, die einem den Atem verschlägt. Wenn er neben der Leiche der Marie auf dem Boden sitzt, und ihren leblosen Arm aufhebt, streichelt, wieder fallen lassen muss, packt einem das im Innersten. Am Schluss erhebt er einmal die Stimme. Er spricht den kurzen Part der Kinder, die die Leiche Maries gefunden haben.

Ein Sängerensemble, wie es seinesgleichen gesucht (und nicht so schnell gefunden) sein will bietet eine Leistung, die der des fulminanten Orchesters in jedem Takt entspricht. Leigh Melrose als Sänger ist ein stimmlich strahlender durchschlagkräftiger Wozzek, als Darsteller ist er ein bemitleidenswerter und doch von Würde und Lebenswillen erfüllter Ecce Homo. Stimmlich ebenso präsent und überzeugend ist Frances Pappas als Marie, weniger eine Opernfigur, als eine Frau, der das Leben übel mitspielt. Nebenan quasi.

Der Hauptmann von Dietmar Kerschbaum scheint mit seiner Mäusephobie ein deutlich pathologischerer Fall zu sein als Wozzeck selber. Dennoch bleibt er in der Darstellung ein bedrohlicher Charakter, wird keine Karikatur. Den Doktor gibt Graeme Danby, weniger diabolisch als man diese Figur im Kopf hat. Er ist mehr der Typ freundlicher Hausarzt mit Forschungsambition nach Feierabend. Stimmlich sind Hauptmann und Arzt facettenreich und präsent. Aufhorchen lässt Franz Supper als Tambourmajor im Hutschenschleuderer-Zivil. So präsente strahlende Töne, ein so vielschichtiges Timbre hat man von Franz Supper noch selten gehört. Emily Righter ist gibt die Margret, die zugleich als Assistentin von Hauptmann und Arzt ständig auf der Bühne ist. Eine kleine Rolle wunderbar besetzt ist die des Andres, dem Joel Sorensen bewebende Facetten der Freundschaft und des Mittleidens verleiht.

Aufführungen bis 1. Juni - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christina Canaval

 

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