Zwischen Folklore und Revolution

LANDESTHEATER / FRIDAS WELT

21/10/24 „Viva la Vida“ war ein Schlachtruf von Frida Kahlo. Ihre Welt im Kampf gegen das Zerbrechen zaubert Reginaldo Oliveira mit den Prachtkörpern seines Balletts Fridas Welt als Uraufführung in das Landestheater Salzburg.

Von Erhard Petzel

Frida Kahlo, höchst erfolgreiche Nationalkünstlerin Mexikos, aus Begeisterung für die Revolution ihr Geburtsjahr von 1907 auf 1910 verlegend, Kommunistin mit Beziehung zu Trotzki und Bewunderung für Stalin; versehrt durch Kinderlähmung und Unfall: Es ist diesmal keine getanzte Biografie, auch wenn Titel der elf Stationen das nahe legen. Natürlich war da der Unfall im Bus, bei dem die damals erst Achtzehnjährige aufgespießt wurde. Mit den fatalen Folgen hatte Frieda Kahlo (1907–1954) für den Rest des Lebens zu kämpfen. Dieser Schicksalsschlag war auch das grundlegende Ereignis für die Ausbildung ihrer Karriere als Malerin.

Und da waren ihre Liebschaften, vor allem mit Diego Rivera, dem damals berühmten Malerkollegen, mit dem sie sich zweimal verheiratet hatte. Andere Stationen beziehen sich auf ihre Bilder wie den verletzten Hirsch, das Selbstbildnis mit abgeschnittenem Haar oder jenes mit ihrer Verdopplung. Und natürlich stehen ihre Bilder meist in engstem biografischen Spannungsfeld.

Das Ensemble erzählt zwar auch eine Geschichte, aber nicht als realistischen Plot. Vielmehr werden Emotionen aus Körperspannung getanzt zu Musik mit der Kraft ihres mexikanischen Urgrunds. Das folkloristische Element als die eine Seele in der Brust Kahlos, das Spiel mit den Grenzen westlicher Urbanität die andere.

Weitgehende Abstraktion empfahl sich schon deshalb, als die Künstlerin Frida Kahlo unterdessen nicht nur zum Pop-Phänomen mit entsprechender Vermarktung avanciert ist, sondern ihre Vita auch Eingang in das Film- und Bühnenschaffen gefunden hat. So setzen Oliveira und sein Team den Nimbus dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit in eine ganz eigene Formensprache um. Konkret wird gar nichts auf die Bühne (Matthias Kronfuss) gestellt. Das Farbenspiel (Licht: Thomas Finsterer) erzeugt mit der Musik einen eigenen Raum, der im Regelfall mit großzügigen Elementen begrenzt wird. Fallen Requisiten vom Himmel, sind sie nur konkret als Instrument, etwa Stühle zum Sitzen. Eine tiefrote, schiefe Ebene mit heraus spießenden Stecken kann – über die Bühne hinaus ragend – zwar auch als besagter Bus gelesen werden, viel bedeutender ist aber die Dynamik, die sich aus der energetischen Fläche der darauf ausgebreiteten Körper entwickelt. Zwar werden Figuren auch als Stereotype in ihre Zeit gesetzt, das geschieht aber mit eher nebensächlichen Attributen wie Zigaretten oder Textildekor. Sonst dienen die Kostüme (Judith Adam) der psychologisierend strengen Abstraktion.

Revolution als rot ausgeleuchtetes Eingangsbild braucht nicht einmal Musik. Zum Puls, der sich zu gewalttätigem Dröhnen steigern wird, gibt es scharf abgezirkelte Rituale fraktionierter Bewegungen, einzelne Körperpartien kantig fordernd. Dann wieder schafft Atem Bedeutung als kollektive Geste. Flirrende Finger am Körper der verdoppelten Frida erscheinen wie Larven von Schmeißfliegen. Einmalwerden rote Lemuren ihre Körperlichkeit als Herausforderung zumuten

Liebespaare beim lateinamerikanischen Walzer weiten das Tanzrepertoire auch ins deftig Eindeutige, ohne grob oder abgeschmackt zu wirken. Generell steht das breite Repertoire vom Stechschritt zum geschmeidig individualisierten Kollektivfluss, von der extrinsischen Betrachtung in Versenkung intrinsischer Vorgänge bis zum komischen Spiel mit Überraschung unter einem innovativen Stern sympathischen Witzes. In farbenfrohen Kleidern haben die Männer im Finale zwar auch spezifische Ausdrucksvarianten zur Verfügung, die Beinarbeit ist dennoch verdeckt. Der Höhepunkt besteht dann auch in einer großen Sitzreihe mit exaltiertem Oberkörperaktionismus. Ausdruck des Annehmens weiblicher Lebenskraft oder Form maskuliner Vereinnahmung?

Die eingespielte mexikanische Vokalmusik wird als Lebensnerv zum dominanten Impuls. Die Wirkung des Ensembles ist von suggestiver Wucht. Das Zusammenwirken von Ensembles mit Soli und Paaren geschieht fließend und ausgewogen. Wie aus einem Selbstbildnis der Frieda Kahlo entstiegen wirken Valbona Bushkola als Frida, mit Dafne Barbosa als Spiegelung der Hauptfigur. Die beiden haben als solistische Tanzpartner Ben van Beelen als Diego Rivera, Andrea Porro als Alejandro Gómez Arias und Gala Lara als Christina Kahlo.

Viel Zwischenapplaus spiegelte das Entzücken des Premierenpublikums am Samstag (19.10.) über einzelne Bilder und Szenen. Zum Schluss ein Hexenkessel an begeisterter Zustimmung.

Fridas Welt, Aufführungen bis 5. Juni 2025 – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall