Odyssee 2022 im interstellaren Rokoko

LANDESTHEATER / FELSENREITSCHULE / DER ROSENKAVALIER

02/10/22 Gefunkel in den Arkaden der Felsenreitschule, auf der Bühne güldene Riesenplaneten – hat demnächst die sternflammende Königin ihren Auftritt? Da kugeln die Marschallin und Oktavian eng umschlungen herein, sichtlich echauffiert von der Liebesnacht. Den Kaffee serviert ein Weltraummännchen im entsprechenden Outfit, das Frühstück genießen die beiden beim Liebesspiel.

Von Reinhard Kriechbaum

Wenn es eine Geschichte gibt, die ganz eindeutig in einem imaginären Wiener Rokoko verortet ist und doch Zeit und Raum aufbricht, dann ist's der Rosenkavalier. Wenn schon zeitlos und allgemeingültig, dann gleich ein Aufbruch in den interstellaren Raum. „Das genialste Hybrid der Operngeschichte“ hat der Regisseur Roland Schwab, der an diesem Ort schon einen bemerkenswerten Lohengrin gestaltete und heuer in Bayreuth den Tristan inszenierte, im Rosenkavalier entdeckt. Der Bühnenbildner Piero Vinciguera hat ihm ein interstellares Ambiente gebaut, mit goldenen Riesen-Planetenkugeln und vielen Trabanten. Das steht dem steinernen Charisma der Felsenreitschule nicht entgegen, verstärkt es gar noch. So entsteht ein Musiktheater, das Zeitschienen und Ortsgebundenheit augenblicklich vergessen macht.

Die Dimensionen: Sie sind in diesen extraterrestrischen Dekorationen reduziert, aber groß genug. Wenn Baron Ochs auf seine künftige Braut zusteuert, bleibt genug Wegstrecke, um auch noch eines der Stubenmädchen genauer zu examinieren. Derer sind so viele, dass an einem #metoo-Skandal im Haus des Neureichen Faninal nichts vorbeiführte, ginge die Geschichte für den Lerchenauer Dank der Liebesg'schicht der „jungen Leut“ nicht ohnehin anders aus.

Dieser Ochs von Lerchenau! Kein ungehobelter alter Rüpel. Martin Summers Ochs wirkt eher noch juvenil, dieser Mann steht voll im Saft, mit Testosteron-Höchststand und ausgeprägtem Don Giovanni-Syndrom. „Keine spanische Tuerei“, singt Ochs. Nein, hier wirklich nicht! Gefährlich wirkt er, weil er so elegant und schlank singt, viel weniger polternd, als man das für diese Rolle im Ohr hat, dafür schwärzer im Timbre. Kurzum: Was eine Schürze trägt, machte sich besser davon vor so einem. Meist ist's eh zu spät.

Ein starker Typ, dem die Feldmarschallin – Magdalena Anna Hofmann – im letzten Akt entschieden und hart entgegen tritt. Auch da eine präzise Zeichnung seitens der Regie. Wie sie fast schockstarr dasteht, in den letzten Szenen, weil ihre düstere Vorahnung vom frühen Vormittag abends schon Realität geworden ist und sie Octavian an Sophie verloren hat: Da möchte man fast das tun, was sie sich standesgemäß verbietet – einfach losheulen. Wie für die meisten sängerischen Leistungen an diesem musikalisch so bemerkenswerten Abend gilt auch für Magdalena Anna Hofmann: Man könnte das jederzeit in einer Festspiel-Aufführung hören lassen.

Sophie Harmsen als Octavian führt ihre silbrigen Höhen brillant ins Treffen. Fast vergisst man, dass das eine Mezzosopran-Rolle ist. Da findet sich ein junger Bursch, der vom Leben noch nichts mitbekommen hat, als die verbotene Liebe zur Marschallin, in einer sittlich maroden Halbwelt wieder, in der er taumelt wie ein Alien in dieser Planeten-Landschaft. Oft steht er auch nur wie angewurzelt da. Wunderbar amalgieren die Stimmen von Magdalena Anna Hofmann und Sophie Harmsen. Im Finale fügt sich Elizabeth Sutphen als Sophie zu einem Trio, das man so erst mal finden und formen muss. Im zweiten Akt ist Sophie ja eher als Soubrette gefordert, da wirkte Elizabeth Sutphen ein wenig piepsig. Ihre Stärken liegen im Lyrischen.

Leslie Suganandarajah spielt seine kapellmeisterlichen Fähigkeiten ultimativ aus. Nicht der kleinste „Wackler“ über die großen Entfernungen hinweg, eine traumwandlerische Balance zwischen den Singstimmen und und dem Mozarteumorchester, das mit spürbarem Einsatz und greifbarer Konzentration am Werk ist. Auch in dieser Hinsicht wäre diese Landestheaterproduktion jederzeit für eine Festspielaufführung gut. Es wird so süffig wie dynamisch kontrolliert musiziert. Unter dem ungebrochenen Walzer-Charme dringt durch, dass Richard Strauss zwar nach der Elektra eine Stil-Kehrtwendung vollzogen hat, aber nach wie vor manchmal das Tonsystem ausreizt. Der Rosenkavalier bedeutete nicht das Ende des Strauss'schen Exressionismus, das bringt Leslie Suganandarajah deutlich heraus.

Bemerkenswert ausgewogene sängerische Qualität auch in den kleineren Rollen. Vor den Intriganten Valzacchi (Rainer Maria Röhr) und Annina (Irmgard Vilsmaier) muss man wohl auf der Hut sein. Victoria Leshkevich ist die Leitmetzerin, Birger Radde der Faninal – ist dieser Neureiche durch Zuhälterei zu Geld gekommen? Im zweiten Akt drehen sich die Kugeln und entpuppen sie sich als Separees, die im Design einem Bordell nachempfunden sein könnten. Schließlich landen wir ja auch nicht in einem Wiener Beisel, sondern in einem einschlägigen Etablissement. Wo Tänzerinnen im gehörnten Mythenkostüm umgehen. Die Szene, in der man den Schabernack vorbereitet, der den Baron Ochs zur Räson bringen soll, ist in diesem Ambiente locker gelöst.

Roland Schwabs Inszenierung: Es gilt in der Felsenreitschule natürlich den Raum zu füllen, eine gewisse Betriebsamkeit ist unverzichtbar. Das Schaubedürfnis wird hinlänglich gestillt, aber der Regisseur weiß sehr genau, wo es Schluss sein muss mit dem Spektakel (dessen Einzelaktionen übrigens immer gut synchronisiert sind mit der Musik). Im entscheidenden Moment ist die Bühne leer, wird die Aufmerksamkeit ganz gezielt zentriert auf das Wesentliche: Die Marschallin von Magdalena Anna Hofmann kann ihre Eloge auf die Zeit gestalterisch innig und intensiv ausleben. Und das Finale ist sowieso ein Traum an transzendentaler Innerlichkeit.

Einmal freilich schlägt die Szene (genau gesagt die Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht) arg daneben: Als Octavian im aufdringlich LED-lichtpunktfunkelnden Kostüm zur Überreichung der silbernen Rose schritt, führte dies zu überbordender Heiterkeit im Publikum. Da hatte es die Musik kurzzeitig recht schwer. Es wäre leicht, da kurzfristig nachzubessern.

Aufführungen bis 25. Oktober in der Felsenreitschule – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger