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Das Publikum als Voyeur

25/10/17 Der Zuschauer ist mittendrin, doch wird gleichzeitig zum Voyeur manipuliert. Unter dem Titel "As far as we are" werden Grundlagen des Spiels verhandelt, menschliche Körper vorgeführt und Grenzen ausgetestet, bis schließlich aus Spaß Ernst wird.

VON ERHARD PETZEL

Das Programm des Premierenabends (24.10.) spricht vom „Crashtest beschleunigter Dummys". Uwe Brauns, Manuela Calleja, Alberto Cisselli und Luan de Lima liegen je in einem Abteil, dessen Wände durch das platzierte Publikum gebildet sind. Dadurch schaut man aus kürzester Distanz auf den Körper, um den man seine Platzwahl getroffen hat. Zwar bewegt sich jeder Charakter anders zu den Bewegungsimpulsen der redundanten Musik von Oliver Stotz, da im Laufe des Geschehens Wechsel in den Gevierten vorgenommen werden, konzentriert man sich aber am besten auf den Tänzer vor sich.

So abgezirkelt bleibt es natürlich nicht. Nach einer gemeinsamen Marscheinheit geht man daran, dem Publikum die Sessel derart zu entziehen, dass eine freie Bühnenfläche entsteht. Zunehmend werden Platzwechsel und Bewegungsaufgaben an aus dem Publikum Herausgegriffene gestellt. Diese Manipulation ist so harmlos und lustvoll, dass ein lockeres Miteinander nicht infrage steht. Als die Leute dann den Bühnenraum auf drei Seiten rahmen, entwickelt sich eine zunehmend fiese Spielsituation zwischen den Akteuren.

Mit der Macht der Domina werden Befehle erteilt, die an Mutproben und Sado-Maso gemahnen. Die Grenze zu Ekel und Selbstwertdemontage wird ausgereizt. Noch lachen viele der Zuseher, weil sie an Spaß glauben wollen. Hier wird aber die Grundlage von Spiel verhandelt und ist damit Ernst. Die Manipulation der Lacher zu Voyeuren ist unaufhaltsam. Die Banalität der Sprache offenbart den Vulkan der Begierde unter dem Akt von Interaktion.

Auch wenn das diesjährige tanz_house-Festival unter dem Motto 'fake' verhandelt wird, zeigt sich Wahrheit. Der in seiner Funktionalität quasi wissenschaftlich verbalisierte Körper wird vorgeführt, bis auf die Unterhose schutzlos ohne Protektor ausgestellt und auf ein Bewegungsmotiv verengt so endlos lange gefordert, dass schließlich das geführte Publikum den Ring um den Schweißtriefenden schließt. Wie zum Hohn folgt eine Betrachtung zum Aroma der Atmosphäre, bevor das Tropfgeräusch des Beginns den Schluss setzt.

Vom zunächst autistischen Spiel hin zur manipulativen Außenwirkung bis zum Durchdrehen einer in ihrem Spielraum verengten Existenz – immer in der Dialektik zwischen Triebleben und sozialisierter Kulturform – kombinieren sich mit dem Titel „As far as we are" Ansicht und Einsicht von Biografie, die den Mitgliedern der Performance-Gruppe in der Blüte ihrer Jahre wohl auch eignet. Für jemand, der seinen Körper nicht mehr so in die Rhythmen werfen kann und kaum mehr mit diesen Hintergründen spielt, ist es ein Blick zurück mit einem Schauer von Grauen. Nicht, weil man die Abgründe des Menschen schaute, sondern weil sein Eros dieser Abgrund ist.

Reicher und verdienter Applaus für eine so virtuos-verspielte wie abgründige Hochleistung.

Weitere Aufführung heute Mittwoch (25.10.) um 19 Uhr in der ARGEkultur – www.argekultur.at
Bild: CieLaroque/P.Huber

 

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