Menschenopfer oder Kitzlein mit Radleuchte

SOMMERSZENE / LAWINE TORRÈN / LEPKA

23/06/19 Herde und Stall. Gleichnis und Menagerie biblisch: Statt maschinellen Stürmens diesmal eine philosophische Melange Hubert Lepkas mit pantheistischen Streichelzoo. Die Performance kreist inhaltlich um Opferung Isaaks in der Bibel. Die sinnliche Reizung mit Tier, Bild, Klang und Bewegung erzeugt soghafte Wirkung, seltsam unbefriedigend bleibt intellektuelle Ebene der Sprachbewältigung.

Von Erhard Petzel

Den Beginn setzt ein sinnlicher Reiz als atmosphärische Raumkonstante: der warme Duft nach Tier und Stall. Ein breites Projektionsband wird Bilder liefern und kann auf seiner Oberfläche betanzt werden. Davor kauert die Tänzerin für weibliche Rollen in Gemeinschaft eines Kalbs, das ungerührt vom Geschehen die eingestreute Bühne durchmisst und frisst. Im Hintergrund rechts sitzt in einem Verbau ein reiferes Paar, links von der Bühne nehmen Musiker Stellung mit Positiv (Gordon Safari), Barockcello (Hannah Vinzens) und Violone (Vicente Salas). Ein Quartett des Ensembles BachWerkVokal wird dem Ohr mit Schütz, Tomas Luis de Victoria, Francisco Guerrero und Monteverdi schmeicheln. Live-Musik wechselt mit Einspielungen. Der Duft gebratener Zwiebeln beschließt die Performance Herde und Stall des Kollektivs Lawine Torrén und Hubert Lepka.

Aus Schneetreiben wächst ein Gesicht, Haare der Tänzerinnen und Fell der Tiere verschmelzen zu projizierten Schimären. Die physiologische Vergleichbarkeit von Mensch und Tier wird Stephan Kreiss als biblischer Abraham wissenschaftlich gegen Marion Hackl als dessen Gemahlin Sara argumentieren - und daraus die Versuchsanleitung für die Opferung Isaaks ableiten. Beiden ist je ein Teil der Performance gewidmet, wobei die Wiederholung nicht zwingend unterschiedliche Perspektiven eröffnet. Mit dem biblischen Geschehen und seiner Kommentierung ist aber die Bühne gefüllt. Zum Kalb tummeln sich vier Ziegen (Geiß und Kitze) und drei Hühner. Zu Barbara Földesis Rebecca (Gattin Isaaks, am Brunnen gefunden) tanzt Eftychia Stefanou das Alter Ego von Isaak, der als Opfer-Knabe von Gustav Lepka gespielt wird.

Dieser ist zunächst völlig passiv, sitzt unter einem Labor-Joch herum, mit Kopfhörern eigenaktiver Realität entrückt, während sich seine Eltern um Regeln, Aufforderungen und Deutungshoheit streiten. Erst im Sara-Teil wird er aktiv eingreifen und seine Opfertier-Simulationsbereitschaft gegen seine Mutter betonen. Erklärung: In seinem Hirn entstünde das Bewusstsein für Regeln, die auf Hierarchie gründen, die mit Opfern abgesichert sein will. Während die Synästhesie der Szene mit sinnlicher Reizung von Tier, Bild, Klang und Bewegung soghafte Wirkung erzeugt, bleibt die intellektuelle Ebene der Sprachbewältigung seltsam unbefriedigend. Wie unerlässlich ist ein Besprechen auf der Bühne für die Botschaft, dass die Bibel den Prozess der Sesshaftwerdung mit damit einhergehendem gesellschaftlichem Strukturwandel mythologisch abbildet und unser wissenschaftlicher Anspruch diesen Wurzeln verhaftet ist?

Wahrscheinlich muss man nicht doppelt erfahren, dass die mentale Struktur des Hummers der des Menschen ähnle und daraus Hierarchie resultiere. Zwar gibt es einen Abstecher auf den Egoismus von Despoten, die Kinder (auch eigene) vernichten, die Metapher des Sohnes-Opfers könnte aber möglicherweise zwingender ausgeleuchtet werden. Erstaunlich hingegen manche Synergien im Spiel mit den Tieren. Ein Kitz mit roter Radleuchte im Gehörn bringt als Teufelchen tatsächlich Unruhe in die Herde. Ein anderes pisst auf die Bühne als Anlass für das Regelgebot: Tu das nicht. Zwei Geißen kommen direkt zum Opferritus angestapft um das biblische Ersatzopfer zu zitieren, während das Videoband quellende Innereien nach der Tierschlachtung zeigt.

Als Resultat des Doppelpakets um das Isaak-Opfer wird der Disput zwischen Frau und Mann zu Gut und Böse ausgetragen und auf die Wahrnehmung von Idee und sinnlicher Realität als dialektischer Gegensatz ausgeweitet. Als Ergebnis entsteht eine Familienidylle als Abschluss: Eine Nacht im Freien mit Essen, Spiel und Tanz inmitten der Tiere. Eine sinnliche Sehnsucht am Ende einer zivilisatorischen Entwicklung, die mit der Sesshaftigkeit und ihrer Regelung von Besitz vielleicht ihren Anfang genommen hat.

Die Frage Lepkas im Programm, ob das Alte Testament für den kommenden Umbruch einer technischen Revolution zu brauchen ist, mag auf der Folie der bisherigen Umbrüche unbestimmte Antworten produzieren. Die Antwort des Publikums erfolgte jedenfalls lautstark.

Das Programm der Sommerszene - www.szene-salzburg.net
Bilder: SommerSzene / Bernhard Müller