Ist man so ausgerüstet, dann freilich steht einem genussreichen Abend nichts mehr im Weg. Man darf sich vorbehaltlos freuen, wenn Zerberus, hier ein rotlichtblinkender handsamer Drache, bei Orpheus' Erscheinen zum Schoßhündchen mutiert. Er liegt dann zu Füßen des krampusartig gehörnten Pluto, der gerade zuvor noch jedes „No“ des Furienchors mit einem Lichtblitz im Auge quittiert hat. Überhaupt diese Unterweltszene: Die grauen 2D-Typen verziehen sich und Farbe kommt rein, sogar ein Regenbogen. Ein Goldrahmen wird hochgezogen und in diesem pastoralen Bild schaut ein kommod auf einem Ast lümmelnder Tiger friedfertig herab auf Schafe und Zebras. Auch der einher trottende Löwe tut keinem Schwammerl was zuleide.
Und dazu also die musikalische Szenerie mit Solooboe und sanft girrender Traversflöte... Einer der Vorzüge dieser durch und durch stimmigen Aufführung ist ja, dass Musik und Bild erstaunlich gleichgewichtig gefasst sind. Keine Emotion im Orchester „recreation BAROCK“, die die Miniaturen des Kabinetttheaters an die Wand drückten, aber auch kein übertriebener optischer Firlefanz, der der ausgeräumten Gluck'schen Partitur (man spielt die Parma-Fassung von 1769) widerspräche.
Der Dirigent Michael Hofstetter weiß um das rechte Maß und lässt mit akkurat klangrednerischer Geste, aber eben nicht mit überbordendem Ausdrucksdrang musizieren. Im jungen Countertenor Valer Sabadus hat er einen Orfeo, der dieselben Tugenden umsetzt. Sabadus gilt gerade als Shooting Star in seinem Fach: ein Sopranist mit weichem Stimmansatz, blendend fokussiertem und in der Klangfarbe ganz wundervoll ausgeglichenem Organ. Zum Herzzerreißen innig klagt er um seine Euridice, während ein Rettungswagen mit Blaulicht über die Miniaturbühne fährt und man in einem anderen Fenster schon sieht, wie das Grab geschaufelt wird. Solch kleine Pointen machen das Szenische reizvoll. Tantalos fahren Backhendl und Rotweinglas immer haarscharf davon.
Die ukrainische Sopranistin Tatjana Miyus (Ensemblemitglied in der Grazer Oper) ist die selbstbewusst die nötige Aufmerksamkeit einfordernde Euridice, angesichts deren Vorhaltungen Orfeo deutlich auch an Volumen zulegen muss (was Valer Sabadus nicht schwer fällt). Die slowenische Mezzosopranistin Tanja Vogrin singt den Amor und spielt auch Harfe im Orchester, eine Doppelbegabung. Das Vocalforum Graz (Einstudierung Franz M. Herzog) setzt mit hoher Disziplin die kontrolliert gehaltenen Affekte um.
Fürs Lieto fine haben die Leute vom Kabinetttheater noch ein hübsches Apercu erdacht: In einer Prozession mit vielen Bischöfen wird Amor gehuldigt – da wird er, der von einem Barockaltar gepurzelt ist, zum echten Heiligen erklärt.