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Die Sehnsucht nach dem Nutella-Brot

REST DER WELT / GRAZ / JEDER … NIEMAND

06/06/16 Keiner protestiert, wenn Beamte Citybags durchkramen und aus Handtaschen Dinge für alle Umstehenden sichtbar herausziehen. Wie ist das doch mit den Menschenrechten? Unsere Toleranzgrenze liegt eh erstaunlich hoch. Ist das schon die erste Szene von Clemens Bechtels theatralem Feldversuch?

Von Reinhard Kriechbaum

Ist es nicht, bloß burleskes Vorspiel mit Beamten-Ernst. Mit der letzten Spielzeitpremiere „Jeder ... niemand. Graz und die Menschenrechte“ geht das Grazer Schauspielhaus nämlich ins dortige Landesgericht. In solche Gebäude darf schon längst kein Undurchleuchteter mehr, deshalb die Perlustrierung der mit etwas über zwanzig Leuten gezielt kleinen Zuschauerschar.

Clemens Bechtel hat sich ein knappes, unprätentiöses, aber gerade deshalb eindringliches Stationen-Kammerspiel ausgedacht, dessen Stoffe der Gegenwart entnommen, zum Teil vor Ort recherchiert sind. Im Stiegenhaus: Die Geschichte vom Saudi-Araber Mohammed, der zufällig in Pakistan in US-Fänge kommt. Von Monaten und Jahren der entwürdigendsten Folter und quälenden Ungewissheit wird er berichten, nachdem ein US-Untersuchungsrichter mit knappen Worten einen Irrtum festgestellt haben wird. Die Anschuldigungen seien aus dubioser Quelle gekommen. Ein Drittel seines Lebens wird der junge Mann in Guantanamo verbracht und dann nicht mal ein leises „Sorry“ gehört haben ...

Eine Schauspielerin und zwei Schauspieler erzählen sachlich, lapidar das Echte mit surrelaer Anmutung. Solches haben wir auch im nächsten Spielraum, einem Verhandlungssaal, vor uns: Um „IS-Bäute“ geht es hier, um ein Gazer Mädchen, dem im Vorjahr hier der Prozess gemacht wurde. Anhand von Faceboock-Botschaften und Tagebuch-Eintragungen lernen wir die 17jährige kennen, die manch krudes Zeug schreibt, aber auch Klarsichtiges. Ist die junge Dame von jemandem hoffnungslos „verhetzt“ oder ist ihr Denken pubertär entgleist? „Manchmal möchte ich nur hierbleiben und ein Nutella-Brot essen“, schreibt sie knapp vor dem Aufbruch nach Syrien. Und wie man sie nachher "analysieren" wird, beschreibt sie in einem Mail an ihren ehemaligen Freund hellsichtig und gedankenklar. Einer der ersten Sätze in dieser Story war: „Man muss den Fall von der subjektiven Seite sehen.“ Wie sonst?

Die Gruppe weiß gekleideter junger Menschen, die zu Beginn wie eine Horde Lemuren schreiend durchs Haus getobt ist, steht auf dem Weg zum dritten Spielort im Gang. In ihrer jeweiligen Sprache lesen und erzählen die jungen Leute, unter ihnen einige „echte“ minderjährige Flüchtlinge, ihre Geschichten. Im Saal drinnen werden wir ihre Akten mit Spagat umschnürt mit aufgestempelter Aktenzahl liegen sehen. Die drei Schauspieler werden „Fallbeispiele“ lesen, aus Protokollen Jugendlicher, die hier gestrandet sind.

All das passiert in einer guten Stunde. Kein Thema wird zu Tode geritten und vor allem wird inhaltlich kein ideologisches Todesurteil gesprochen. Das Schauspielerische hinter der nüchternen Dokumentation sind eher knappe Interventionen (etwa wenn junge Bräute gehetzt hereinplatzen und die Türen hinter sich zuschlagen). Charismatisch, aber nicht zwingend der Ort. Das historistische Gebäude spiegelt k.&k-Uralt-Beamtentum. Der Untertitel der Aufführung, „Graz und die Menschenrechte“, ist jedenfalls zu klein ausgefallen: All das könnte überall sein, überall wahrgenommen, überall beschrieben werden könnte. Man geht mit viel Nachdenklichkeit.

Aufführungen am 6., 7., 16. und 17. Juni – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Lupi Spuma

 

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