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Vielleicht geschieht nichts ohne Grund...

LANDESTHEATER LINZ / PELLÉAS ET MÉLISANDE

20/03/16 Prinz Golaud findet auf der Jagd an einem Brunnen im tiefsten Unterholz das verstörte Mädchen Mélisande. Er nimmt sie als Gattin mit heim übers Meer auf die düstere Burg Allemonde. Dort ist – auf dem Sprung abzureisen – der jüngere Bruder Prinz Pelléas… „Pelléas und Mélisande“ von Claude Debussy hatte - in einer Jahrhundert-Inszenierung von Achim Freyer - am Samstag (19.3.) im Linzer Musiktheater Premiere.

Von Heidemarie Klabacher

Ein Rausch schillernder Farben. Eine Planskizze auf dem Reißbrett. Beides – und zwar gleichzeitig – ist das Setting von Regisseur, Bühnenbildner und Lichtdesigner Achim Freyer für die einzige Oper von Claude Debussy auf das „Lyrische Drama“ von Maurice Maeterlinck im Linzer Musiktheater.

Monde. Nebensonnen, Halbmonde und deren Finsternisse füllen die gesamte Bühne mit Lichtreflexen. Eine Galaxie? Dieses Universum kreist jedenfalls nicht spiralförmig in sich selbst. Diese Sonnen, Monde oder Sterne bewegen sich auf rechtwinkeligen Bahnen. Immer am selben Fleck und doch immer in Bewegung überschneiden sich die Lichtscheiben und ihre Schatten… Die Quadratur nicht nur des Kreises, sondern der Spirale und aller kugelförmigen Weltenkörper?

Achim Freyer hat zusammen mit Moritz Nitsche den vielschichtigen Bühnenraum und zusammen mit Sebastian Alphons das irisierende Lichtkonzept geschaffen.

Ein transparenter Gaze-Vorhang – auch Projektionsfläche für weitere die Atmosphäre verdichtende Formen und Figuren – trennt den Betrachter nur scheinbar vom Geschehen. Tatsächlich verschwimmen durch diesen „Vorhang“ die Grenzen zwischen Bühne und Publikum, zwischen Innen und Außen, verstärkt sich die ohnehin stupende Sogwirkung. Die kräftigen Farben von kupfergold über rosenrot bis leichenblau scheinen sich beinahe mit jedem Atemzug zu ändern, sicher aber mit jeder neu in den Protagonisten erwachenden Emotion. Die metallisch glänzenden und immer in anderen Farben aufleuchtenden „Hauptmonde“ wirken wie die Pendel eines Bühnenhypnotiseurs. So soll Theater sein: Zum Abheben…

(Selten übrigens stören die unzähligen, im Gesichtsfeld hell schimmernden, Übertitel-Monitore in den Sessellehnen rundum so sehr, wie in diesem fragilen Lichtkonzept.)

Was ist nun mit den Protagonisten? Es sind reine Arche-Typen: König Arkel, der gütige Großvater der Prinzen Golaud und Pelléas, deren Mutter Geneviève und Prinz Pelléas schweben als überdimensionale Figuren hoch über dem Boden. Sie werden von Kränen kaum merklich, aber ständig bewegt – von oben nach unten, von links nach rechts. Mélisande, das Brunnenmädchen, die ver-störte und psychisch schwer ge-störte Nymphe, kommt von unten, aus ihrem Brunnen. Sie bewegt sich also aus der Gegenrichtung heraus senkrecht auf und ab – als einzige wirklich nur auf einer einzigen Ebene. Nur einer ist es, der querbeet herumstapft und stampft, wankt und schwankt wie ein Mensch: Das ist Prinz Golaud, den freilich überdimensionales Schuhwerk an jeder wirklich eigenständigen Bewegung hindert.

Ist es ein Märchen? Ist es eine beißende Sozialkritik? Ist es eine Paraphrase auf Tristan und Isolde gekreuzt mit einer Variante vom Versagen des Mitleids auf der Gralsburg? Die beiden – höchst wahrscheinlich – unschuldig wie die Kinder einander liebenden jungen Leute gehen jedenfalls zu Grunde: Pelléas wird vom Bruder erschlagen. Mélisande stirbt einen nicht weniger geheimnisvollen Liebestod als Schicksalsgenossin Isolde.

Aber was ist mit den drei stinkenden Alten in der Grotte? Was ist mit den verhungernden Bauern am Strand? Beängstigende Bilder Maeterlinks: War die Welt im Märchen schon „damals“ nicht schöner, als „heute“ an den Gestaden griechischer Inseln? Seltsam aktuell, dieses „Lyrische Drama“, das bei aller Statik die Skala aller nur erdenklichen Emotion und allen menschlichen Versagens abdeckt.

Bildliche und musikalische Umsetzung gehen in dieser Produktion im Linzer Musiktheater auf überwältigende Art und Weise Hand in Hand. Genauso wenig oder viel, wie im Text Maeterlincks ist in der Musik Claude Debussys „los“: Alle Emotion brodelt unter der scheinbar sanft wiegenden Wellenoberfläche.

Dennis Russel Davies und das Bruckner Orchester Linz „malen“ die unendlichen Wellen, Linien und Weiten in Debussys Musik mit größter Klarheit und Transparenz. Sie vermitteln über weite Strecken des opulent instrumentierten Orchesterparts das Gefühl geradezu kammermusikalischer Durchhörbarkeit und Intimität. Einzelne Solopassagen, etwa der Trompete oder der Flöte zeugen, von der musikalischen Qualität bis ins Detail. Dennis Russel Davies und das Bruckner Orchester Linz bieten den Sängerinnen und Sängern, ganz wie von Debussy vorgesehen, die ideale Basis zur „lockeren“ Rezitation und Deklamation. Unangestrengt, immer auf großen Linien eingebettet in den Gesamtstrom der Musik, entwickeln die Protagonisten bewegende Psychogramme.

Nikolai Galkin als Arkel, König von Allemonde, schwebt im Bühnenkonzept räumlich an höchster Stelle. Seine von tiefer Menschlichkeit und von Mitleid geprägten Mahnungen artikuliert Nikolai Galkin mit Wärme und Farbigkeit im Stimmklang. Nur klein ist die Rolle von Geneviève, der Mutter von Golaud und Pelléas: Karen Robertson gestaltet sie souverän. Seho Chang singt den zentralen Part des Golaud. Die Masken und die überdimensionalen Kostüme erlauben kaum unmittelbaren Ausdruck von Gefühl: Umso überwältigender ist die Palette an Emotion, die Seho Chang fast ausschließlich über sein reiches Timbre und seine hervorragende Gestaltungskraft zu vermitteln weiß. Iurie Ciobanu singt im Linzer Musiktheater die männliche Titelrolle: Auch er kann die „Unschuld“ und zugleich die sinnliche Ausstrahlung seines Pelléas nur über den Stimmklang auf der Basis souveräner Gesangstechnik vermitteln.

Am statischsten konzipiert ist die Partie der Mélisande, die von der Sopranistin Myung Joo Lee dennoch zu berührendem Leben erweckt wird: Wie ein Windhauch wirken ihre sanften Klagen – und zugleich präsent und in jedem Augenblick textverständlich und stimmtechnisch perfekt in eleganten Linien positioniert.

Ganz außerhalb es strengen Figurenkonzeptes bewegt sich der Knabe Yniold, der Sohn Golauds aus erster Ehe. Er sitzt am linken Bühnenvordergrund und beschäftigt sich drei Stunden lang in Zeitlupe – wie auch alle anderen Bewegungen in Zeitlupe stattfinden  - mit einem Ball und einem Roller, dessen Reifen das Thema der Lichtscheiben aufgreifen. Tabea Mitterbauer steht als Knabe Yniold im Kreuzverhör mit Golaud – der seine Frau und seinen Bruder vom Kind bespitzeln lässt – überzeugend Rede und Antwort.  

Pelléas und Mélisande – die nächste Vorstellungen im Linzer Landestheater ist am 26. März; dann folgen sechs Aufführungen bis 27. Juni - www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz/Karl Forster

 

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