Unsterbliches Leben - um welchen Preis?

REST DER WELT / WIENER STAATSOPER / VEC MAKROPULOS

14/12/15 Leós Janáčeks Oper „Věc Makropulos“ in der Staatsoper wurde zu einem Triumph für das gesamte Ensemble und für ein nicht leicht zugängliches Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Das Publikum jubelte dankbar über die späte Janáček-Erstaufführung im Haus am Ring.

Von Oliver Schneider

337 Jahre ist sie jung, die gefeierte Operndiva Emilia Marty und Protagonistin der „Sache Makropulos“. Alias Elina Makropulos. Unter dem Namen hat ihr Vater, der Leibarzt des Habsburgerkaisers Rudolf II in Prag, im ausgehenden 16. Jahrhundert an seiner Tochter ein lebensverlängerndes Elixier ausprobiert, das sie bis 1922 am Leben hält. Vordergründig geht es in Janáčeks vorletzter Oper zwar um einen seit hundert Jahren andauernden Erbstreit, in den Elina verwickelt ist, weil sie an das Rezept für das Elixier kommen will. Letztlich steht aber die Frage im Mittelpunkt, wie wünschenswert ein „unendliches“ Leben ist, denn auch Elina ist mittlerweile ihres Lebens überdrüssig und begegnet ihrer Umwelt nur noch mit Zynismus, Kälte und Verachtung.

Věc Makropulos war am Sonntagabend erstmalig im Haus am Ring zu sehen. In der Neuinszenierung von Peter Stein gibt Laura Aikin die kapriziöse, abgestumpfte Diva, mit der sie eine entscheidende Repertoireerweiterung vorgenommen hat. Sie braucht die Konkurrenz dramatischerer Rollenvorgängerinnen wie Anja Silja 1993 in der Volksoper oder einer Angela Denoke in Salzburg nicht zu fürchten. Mit ausreichend Kraft setzt sie sich über das in Wien hoch sitzende große Orchester hinweg und klingt dabei stets unangestrengt. Als große Mimin zeigt sie sich, wenn sie das Geheimnis um ihr Leben lüftet und plötzlich von der eleganten Mittvierzigerin in die abstoßend hässliche Alte verwandelt.

So naturalistisch hat es in den letzten Jahren niemand gewagt, das Alter und den Tod auf die Bühne zu bringen.Weder in Salzburg noch in München. Aber Peter Stein ist ja für seine „Librettotreue“ bekannt. Also spielt seine Věc Makropulos in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts (Kostüme: Annamaria Heinrich): im ersten Akt in der altmodischen Kanzlei von Rechtsanwalt Dr. Kolenatý (mit robustem Bassbariton Wolfgang Bankl), im zweiten auf der Bühne der Wiener Staatsoper mit Blick in den Zuschauerraum und im auflösenden dritten in einer eleganten Hotelsuite im Art Déco-Stil (Bühne: Ferdinand Wögerbauer). Mit der Wahl der Wiener statt der Prager Staatsoper holt Stein das Werk in unsere Zeit des Jugendwahns und der Todesverdrängung und unterstreicht seine eindeutige Aussage durch den aus dem Zuschauerraum singenden Herrenschlusschor („Wir haben es so gut, dass wir sterben dürfen“) nochmals (Chorleitung: Thomas Lang).

Woran liegt es aber, dass der Abend erst mit dem zweiten Akt packt? Stein scheint mit der Konversation der Erben der einstigen Prozessgegner im ersten Akt seine Mühe zu haben. In den Diskussionen über die verworrene Geschichte um das Testament von Pepi Prus, einem verflossenen Liebhaber Elinas, werden die Nachkommen einfach nicht zu lebendigen Personen. Das ändert sich erst im zweiten Akt, wenn Elina auf der leeren Opernbühne die Diva herauskehren darf und sie auf einen ihrer ehemaligen Verehrer Hauk-Sendorf trifft, der mittlerweile zum skurrilen Greis geworden ist und von Heinz Zednik liebevoll gezeichnet wird. Rundherum überzeugend ist der dritte Akt gelungen, in dem der dominante, fiese Jaroslav Prus nach einer erkauften Liebesnacht mit der eiskalten Elina das ersehnte Rezept für die Unsterblichkeit herausrückt (stimmlich autoritär Markus Marquardt). Der ungeduldige Albert Gregor, der für die Gegnerseite als Nachkomme den Prozess führt, hat sich hingegen wirklich in die Marty verliebt. Ludovit Ludha, der kurzfristig für Rainer Trost eingesprungen ist, ist der einzige Rollenerfahrene an diesem Abend und erfüllt problemlos alle stimmlichen Anforderungen der Partie. Den Bürodiener bei Kolenatý gibt Thomas Ebenstein mit einer gewissen Komik, seine Tochter Krista, die die Marty anhimmelt, am Ende von ihr auch das Rezept für das ewige Leben erhält und es weise den Flammen übergibt, wird von Margarita Gritskova mit tragfähigem (Mezzo)-Sopran gesungen und gestaltet.

Im Graben gibt schließlich der Janáček-Spezialist Jakub Hrůša sein akklamiertes Hausdebüt. Er gestaltet den farbigen und vielschichtigen Orchestersatz souverän, im zweiten Akt mit viel Gespür für die harte Rhythmik. Am kathartischen Ende lässt er die Mitglieder des Staatsopernorchesters prachtvoll aufleuchten.

Věc Makropulos – weitere Aufführungen - 15., 18., 20. und 23. Dezember - www.wiener-staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn