Verspielter Krach und surreale Wortbomben

GRAZ / STEIRISCHER HERBST

28/09/15 Beim Schwimmen im Wörthersee trafen einst die Intendantin des steirischen herbst, Veronica Kaup-Hasler, und der Schriftsteller Josef Winkler zufällig aufeinander – und verabredeten ein gemeinsames Projekt.

Von Jörn Florian Fuchs

Das Ergebnis gab es jetzt zur Eröffnung des Grazer Festivals zu bestaunen: „Specter of the gardenia oder Der Tag wird kommen“. Mit an Bord waren der Tiroler Komponist Johannes Maria Staud, die erfindungsreiche Regisseurin Sofia Simitzis, Schauspieler Johannes Silberschneider sowie das renommierte Ensemble Modern unter Leitung von Emilio Pomàrico.

Der Stücktitel bezieht sich auf eine Frauenbüste des surrealistischen Künstlers Marcel Jean (entstanden 1936), die Dame trägt eine Filmrolle um den Hals und Reißverschlüsse in ihren Augen. Josef Winkler assoziiert nun einen wilden, wütenden Erinnerungsfilm, reich an seinen einschlägigen Themen Tod, Katholizismus, Kindheitstraumata, dem Leiden an der Provinz. Konkretes steht neben surreal verdrehtem. Gelegentlich wird's auch ein wenig politisch („Ihr Erdöl-Gesellschaft, ihr Aufpasser unserer Tragödie … Ölhand aufs Herz! –, wie viele Äxte braucht eigentlich Euer Himmel?“).

Johannes Maria Staud hat einen eigensinnigen, meist aggressiven, aber (bewusst?) kaum auf den Text reagierenden Soundtrack voller formschöner Details geschrieben. Zum Höhepunkt wird ein turbulent mit dem Orchester kämpfender Flügel. Die exzellenten Musiker des Ensemble Modern spielen auch szenisch mit, eine Cellistin etwa übt sich in grellem Ausdruckstanz, während Johannes Silberschneider deklamiert und rezitiert, sich auszieht und mit schwarzer Farbe bemalt, durch einen glitzernden Showvorhang kommt und wieder verschwindet, nebenbei noch allerlei Verrenkungen vollführt. Auf einer zersplitterten Leinwand laufen hektische Videos, die an Luis Buñuel & Co. erinnern. Zu sehen gibt es da allerhand Seltsamkeiten, etwa ein Ritual mit Skelett, merkwürdige Athleten, skurrile Figuren in ebensolchen Situationen.

Würfel spielen in diesem sehr heterogenen Musiktheater eine zentrale Rolle, mal auf Film, dann wieder 'real' in Form von als Riesenwürfel kostümierten Akteuren. Einmal überreicht sogar Dirigent Emilio Pomàrico Johannes Silberschneider würdevoll zwei Würfel, man frage indes nicht nach dem tieferen Sinn. Es gibt viele Lichtwechsel, häufig strahlt ein Scheinwerfer ins Publikum, spürbares Ziel der Sache ist es zweifellos, das Publikum unter Dauerfeuer zu setzen.

Insgesamt erinnert dieses im Wortsinn verrückte Musiktheater an Avantgarde-Projekte der 1970er oder 80er Jahre und passt damit auf verschrobene Weise durchaus zum diesjährigen Motto des steirischen herbst, welches da lautet: „Back to the Future!“.

Der steirische herbst dauert bis 18.Oktober – www.steirischerherbst.at
Bilder: steirischer herbst / Wolfgang Silveri