Gewohnt kühl - mit einer kleinen Variation

REST DER WELT / LINZ / LA TRAVIATA

22/08/15 2013 hatte Gérard Mortier Robert Wilson gebeten, „La traviata“ für das Teatro Real in Madrid zu inszenieren. Dazu kam es nicht mehr. Das Landestheater Linz sprang mit weiteren internationalen Kooperationspartnern ein und widmete die Produktion dem viel zu früh verstorbenen Kulturmanager.

Von Oliver Schneider

Wilson psychologisiert in seinen Inszenierungen bekanntlich nicht, interessiert sich nicht für die Sozialstruktur als tieferer Ursache für das Scheitern der Liebesbeziehung zwischen Violetta und Alfredo. Er stilisiert, bietet kühle Ästhetik auf allerhöchstem Niveau. Im Bereich des Musiktheaters hat er damit Meilensteine gesetzt. Mit „Einstein on the Beach“ von Philipp Glass in den siebziger Jahren, Anfang der neunziger Jahre dann in Zürich mit einem „Lohengrin“, später in Salzburg mit Debussys „Pelléas et Mélisande“ und vor allem mit dem Bartók/Schönberg-Doppelabend „Herzog Blaubarts Burg“ und „Erwartung“.

„La traviata“ ließe sich vielleicht auch in das streng-formale Wilson-Konzept zwängen, in Linz ist das leider nicht gelungen. Der gebürtige Texaner setzt wie üblich auf kühle, dauernd wechselnde Blautöne bei der Beleuchtung der Bühnenrückwand, während am Bühnenrand Neonröhren für ebenso kaltes Licht und Distanz sorgen. Dazu schreiten die Protagonisten mit abweisenden Handbewegungen. Jede Körperberührung ist verboten. Das fasziniert immer noch, auch wenn man es schon so oft im Musiktheater und im Schauspiel gesehen hat.

Geradezu revolutionär ist aber, dass Wilson noch neue Bewegungsmuster in sein Repertoire aufgenommen hat: So dürfen einzelne Protagonisten – zum Beispiel Annina – und der Chor auch mal tippeln und wie Parkinson-Erkrankte rhythmisch mit dem Kopf wackeln. Wilson und sein Team – insgesamt sind es acht Personen! – wollen den Zuschauer mit dem Spiel auf der Bühne explizit nicht berühren, wenn Giorgio Germont Violetta bittet, auf Alfredo zu verzichten oder wenn Alfredo sie auf Floras Maskenfest erniedrigt. Das soll ausschließlich der Musik vorbehalten bleiben, um nicht ins Kitschige zu verfallen.

Doch dafür wären Sängerdarsteller nötig, die mit ihrer Bühnenpräsenz Wilsons Ideen perfekt in umsetzen können, so dass Gesang und Bewegungen zu einer Einheit werden und eben doch in einem gewissen Sinn die Seele ansprechen. Die hat man in Linz leider nicht. Am überzeugendsten ist noch der dritte Akt, in dem Violetta auf einer Chaiselongue ruht. Geradezu passend geht hier auch eine der Neonröhren kaputt. Hier erreicht die Produktion auch musikalisch ihre stärksten Momente. Denn je leiser die Töne, desto intensiver und fragiler gestaltet Myung Joo Lee die schwindsüchtige Kurtisane, während sie vor allem im ersten Akt im Brindisi und dem „Sempre libera“ am Premierenabend recht schwachbrüstig wirkte.

Es sind auch gerade die Piano-Stellen des dritten Aktes, in denen das Bruckner Orchester unter der Leitung von Daniel Spaw seine stärksten Momente hat; nur die Tempi sind etwas breit gewählt. In den ersten beiden Akten hingegen täte dem Dirigat mehr Feuer und Klangdelikatesse nicht schlecht; die Musiker klangen am Premierenabend lustlos und im besten Fall routiniert.

Neben Myung Joo Lee bietet der Rest des Ensembles gediegenes Mittelmass. Jacques le Roux gibt einen tadellosen Alfredo, Seho Changs Giorgio Germont klingt stellenweise schon müde. Gut sind Martin Achrainer als Alfredos Widersacher Douphol und Matthäus Schmidlechner als Gaston. Darstellerisch würde sich das Linzer Ensemble wohl besser in einer traditionelleren Aufführung fühlen. Am Ende der Premiere gab es viel Jubel für alle Beteiligten; nur Robert Wilson musste einige wenige Buhs einstecken.

Aufführungen bis 10. Februar 2016 in unterschiedlicher Besetzung – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Olaf Struck