Aschenbrödel und der Rennfahrer-Prinz

REST DER WELT / WIEN / LA CENERENTOLA

29/01/13 Sven-Eric Bechtolfs Neuinszenierung von Gioacchino Rossinis „La Cenerentola“an der Staatsoper gerät zwar immer wieder ins Stocken, aber die Premierenbesetzung überzeugt.

Von Oliver Schneider

Nachdem die letzten Takte der eigentlich so spritzigen Ouvertüre unter der Leitung von Jesús López-Cobos betulich-schwer verklungen sind, schwant einem Dunkles für die nächsten drei Stunden. Doch zumindest musikalisch wendet sich das Blatt schnell zum Besseren. Dafür sorgt López-Coboszunächst einmal selbst; seine langjährige Rossini-Erfahrung macht sich bemerkbar. Er weiss den Sängern einen bequemen Teppich zu legen. Gleichwohl setzt er musikalische Impulse und treibt das Orchester in den Crescendi zu Höchstleistungen an. Bedacht lässt er das Rossini-typische Kolorit hervortreten, für das die ausgezeichneten Holzbläser und Hörner sorgen. Zudem kann das Staatsopernorchester an diesem Abend Spannungsabfälle erstaunlich gut abmildern, und von denen gibt es einige. Anzulasten sind sie dem szenischen Konzept des Salzburger Festspiel-Schauspielchefs Sven-Eric Bechtolf, der an der Staatsoper gleich zwei Premieren hintereinander besorgt hat. Im Dezember stand ja seine Adaption der Salzburger „Ariadne auf Naxos“ auf dem Premierenplan.

Bechtolf hat Rossinis „Aschenbrödel“, das mit dem Libretto von Giacopo Ferretti weniger Märchen ist, dafür einen sozialkritischen Unterton hat, ins Monaco-ähnliche San Sogno zwischen Côte und Riviera am Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts versetzt. Autonarr Don Ramiro ist der Herrscher dieses Sonnenstaats, Formel-1-Weltmeister war er auch schon. Für seine Autos hat er im Ballsaal seines Schlosses sogar Garagen eingebaut.

Don Magnificos Reichtum – er ist Cenerentolas hartherziger Stiefvater – lässt sich nur noch an den leeren Gemälderahmen in einem abgeblätterten Flur seines Hauses erahnen. Lediglich ein Bild ist ihm geblieben: eine stark an Audrey Hepburn erinnernde Schönheit, die Magnificos Töchter Clorinda und Tisbe in ihrem Balloutfit zu imitieren versuchen. Ihre Stiefschwester Angelina mit dicker Hornbrille, ein bisschen pummelig und gänzlich unattraktiv, ist das moderne Aschenbrödel.

In diesem Setting (Bühne und Kostüme: Rolf und Marianne Glittenberg, wer sonst) spult Bechtolf das bekannte Repertoire an Rossini-Gags und -Bewegungen ab, wobei er der in diesem Werk meisterlichen Charakterisierung der Personen einiges schuldig bleibt.Das ist sonst Bechtolfs Stärke. So richtig in Fahrt kommt der Abend szenisch auch nicht, da helfen auch die flotten Oldtimer und Gelati-Verkäufer nichts. Liegt es an Bechtolfs Personenführung und dem Mix an Einfällen, die dann im Endeffekt doch nicht an den Klassiker von Jean-Pierre Ponelle herankommen oder an den Solisten, die zum Teil zu steif agieren? Vielleicht auch daran, dass Bechtolf nach den einzelnen Bildern den Vorhang fallen lässt, wodurch die Spannung absinkt.

Wenigstens die Herren mit den dunklen Stimmen sind bekannt als spielfreudige und stimmlich erstklassige Rossini-Buffos und werden dieser Rolle gerecht: Alessandro Corbelli als böser Stiefvater und mit ungewohnt metallischem Stimmglanz für die Rolle; Ildebrando d’Arcangelo als Ramiros Lehrer Alidoro, der wie ein Zauberer aus der unscheinbaren Angelina eine Schönheit im blauen Abendkleid macht. Vito Priante ist Ramiros Diener Dandini, der mit seinem Herrn die Kleider tauscht, als schmachtender Italo-Schlagerstar die Herzen der Stiefschwestern erobert und den tölpelhaften Magnifico zu seinem Kellermeister macht. Meint dieser zumindest. Immerhin stimmlich wunschlos glücklich macht Dimitry Korchak, der als Ramiro mit seinem freien und offenen Stimmklang gefällt, koloratursicher ist und treffsichere Spitzentöne liefert. An darstellerischer Agilität dürfte er hingegen noch zulegen.

Für die Angelina lag die Messlatte für diejenigen hoch, die sich in Wien oder anderswo an die Baltsa oder die Bartoli erinnern können. Die junge Irin Tara Erraught, Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper München, zeigt aber einmal mehr, wie in den grossen Ensemble-Opernhäusern im deutschsprachigen Raum Sängerinnen und Sänger für die internationale Karriere reifen können. In München hatte sie 2011 als Romeo in der Neuproduktion von Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ für Aufsehen gesorgt. Sie überzeugt gleichermaßen mit wunderschön ausgesungenen Kantilenen, Beweglichkeit und stilsicheren Fiorituren. Im Finale entfacht sie ein elektrisierendes Koloraturen-Schlussbukett, nachdem sie bei der Märchenhochzeit mit Ramiro für die Stieffamilie um Verzeihung gebeten hat. Valentina Nafornita als Clorinda und Margarita Gritskova als Tisbe aus dem Ensemble komplettieren das stimmlich dem Haus am Ring adäquate Solistenseptett. Da Regisseur Bechtolf anscheinend der von Rossini vorgesehene Herrenchor (einstudiert von Martin Schebesta) zu wenig war, liess er einen Teil von ihnen kurzerhand als Damen verkleidet auftreten.

Aufführungen bis 14. Februar, mit Umbesetzungen ab 1. Juni (Rachel Frenkel als Angelina und Michele Pertusi als Alindoro) – www.staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn