Die Unterwelt als Über-Brettl

REST DER WELT / WIEN / SCHATTEN (EURYDIKE SAGT)

18/01/13 Mitkommen mit dem selbstverliebten Sänger, wieder einen Körper annehmen, wieder Frau eines von Groupies umschwirrten Monomanen sein müssen? Bloß nicht! Aber „auf seinem Soundtrack eilt er dahin“, der singende Halbgöttergatte, bis ins Schattenreich. Elfriede Jelinek hat da ihre Bedenken.

Von Reinhard Kriechbaum

Kleiner Abstecher in die Unterwelt, um das Ego zu befriedigen. Verzichten hat Orpheus nicht gelernt, auf eine Frau schon gar nicht. Bisher ist es ja meist um ihn gegangen, und keiner hat Eurydike ernsthaft gefragt, ob sie eigentlich zurück will mit ihm, zu ihm. Da hat erst Elfriede Jelinek kommen müssen. Die hat nach den vier Prinzessinnen-Dramen genügend einschlägige Erfahrung mit männerbezogenen Typinnen von Schneewittchen bis Lady Di. Eurydike passt bestens in die Reihe.

Es war ursprünglich ein Kontra-Text für eine Schauspielerin, für ein multi-künstlerisches Projekt in der Philharmonie Essen, mit Ballett und Oper (jener von Monteverdi). Dort wurde „Schatten (Eurydike sagt)“ im Juni des Vorjahres durch Johanna Wokalek uraufgeführt. Nun hat Matthias Hartmann in Wien den ausufernden Fließtext als „Uraufführung der Theaterfassung“ auf die Bühne des Akademietheaters gehievt. Er kommt nicht mit einer Eurydike aus, sondern verschleißt deren sieben. Ältere und jüngere, markantere und weniger auffällige. Die meisten mainstream-blond, aber auch zwei Rotschöpfe darunter. Eine der Frauen ist umgeben von Einkaufstüten, in denen sie bisher aus Boutiquen eine Kleiderkreation nach der anderen heim getragen hat. Es steht aber nicht der Name der Designer-Marke auf dem Papier, sondern das Wort „Angst“ in vielen Sprachen. Eine andere macht auf pausbäckiges Püppchen. Auf dem Laufband hält sie sich fit und macht schon was her im Babydoll. So hat eine jede ihre Macken, wie sie uns schon dann und wann untergekommen sind in der Damenwelt.

Und dann ist da noch eine: Die Dichterin selbst. Der junge Kabarettist, Schau- und Puppenspieler Nikolaus Habjan leiht der Elfriede Jelinek als lebensgroße Puppen-Büste einen Arm und seine Stimme. Eurydike hat es (gleich am Anfang erfahren wir das) im echten Leben nämlich nicht nur mit Ehefrau-Sein, sondern auch mit Dichten versucht. Das ist aber nichts geworden neben dem übermächtigen Pop-Barden. Jetzt blättert die Jelinek-Puppe mit markanter Physiognomie und strenger schwarz gerandeter Brille in ihrem Manuskript, als Mittlerin an der Bühnenrampe zwischen dem hektischen Schwarm der sieben Eurydiken, dem Schnulzen singenden Orpheus hinten auf seiner Showtreppe und dem Publikum. Sie ist ironische Begleiterin des Spektakels und Stichwortbringerin. Matthias Hartmann hat nämlich  messerscharf erkannt: In diesem Text mit starker theatraler Option gibt die Dichterin nicht wenig von sich selbst preis.

Gibt sie aber wirklich in etwa das preis, was der Regisseur und Burgtheaterdirektor herausliest? Dankenswerterweise ist der Text im Programmheft vollständig abgedruckt, und da sieht man auf den ersten Blick, dass Hartmann heftigst gestrichen hat. Das ist legitim und notwendig. Hartmann hat es aber sehr nach eigenem Gutdünken getan. Der Text offenbart beim Lesen einen ruhigen, fast lyrischen Fluss. Wir aber erleben anderthalb Stunden aufgedreht-popiges Theater im vermeintlichen Reich der huschenden Schatten. Die reden auf der Bühne oft von ihrem Verschwinden, ihrem Aufgehen im Nichts, vom Ausrinnen, vom Verlust der Bodenhaftung: „Das ist alles längst abgegeben, das Ich, ohne dass wir eine Garderobenmarke dafür bekommen hätten ... Wir werden keine unentdeckten Tiefen mehr in uns entdecken, weil wir Tiefe nicht mehr haben … Wir sind flach, endlich flach, zusammengelegt, zerknüllt, weggeworfen, ausgestreckt, in die Länge gezogen, alles eins.“ Dafür führen sie sich recht deftig auf, all die Eurydikes, auch wenn Kostümbildnerin Tina Kloempken alle Gewandkreationen in stilvollem Schwarz gehalten hat. Hartmann aber stößt mit der ihm eigenen Theaterpranke seine Darstellerinnen von einer Kabarettnummer in die andere. Die Unterwelt als Über-Brettl.

Nicht, dass es da nicht genug spontan zum Lachen gäbe. Aber die Pointen der Jelinek träfen mit feinerem Stich. Die Aufführung im Akademietheater ist tendenziell marktschreierisch. Das hat das Premierenpublikum, scheint’s, kaum gestört. Viel Begeisterung am Schluss.

Jelinek äußert beileibe nicht nur Kritik am Mann, sondern es steckt auch viel leiser Selbsthass in der dick angerührten Satzbrühe. Der tut beim Lesen viel mehr weh als in der Bühnen-Verquicklebendigung, bei der die Frauen rasch in unverbindliche Stereotypen abgleiten. Es ist ja nicht so, dass all die Eurydiken ihre menschlichen Schwächen und Defizite mit dem Schlangenbiss ablegen. Das schnöde Fleischliche haben sie noch nicht ganz abgestreift, es gibt Parteienbildungen im unterwelts-verschattenden Weibervolk. Dass das Aufgehen in begierdeloser Entkörperung ein anzustrebender Zustand sei, setzt sich als Common sense erst allmählich durch. Das könnte man wesentlich dichter, hintergründiger herausarbeiten als mit grellen Knallchargen.

Zwischentöne sind keine Eigenheit dieser Bühnenarbeit. Oft wird psychoanalytisch ausgeholt, das zelebriert die Jelinek ausgiebig. Dann pickt sich eine der Blondinen einen Bart um, setzt eine runde Brille auf und sieht Sigmund Freud wirklich ziemlich ähnlich. Sie hat einen Riesenhammer in Händen und schlägt damit auf ein TV-Gerät, in dem sogleich ein Achtung-Schild mit Porträt oder Schriftzug Freuds aufblitzt. Oder das Höllenfeuer als Atomblitz. Die Psychoanalytik-Keule ironisiert Matthias Hartmann mit dem sprichwörtlichen Holzhammerhumor.

Wer Kabarett mag wird gut bedient von Elisabeth Augustin, Brigitta Furgler, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Katharina Lorenz, Christiane von Poelnitz, Yohanna Schwertfeger. Eine jede schiebt irgendwann einmal eine starke Nummer. Gemeinsam ziehen sie, in der Unterwelt erst mal heimisch geworden, in Richtung Bühnenkantine (das wird als Video übertragen). Aber vor dem singenden Orpheus – Lucas Gregorowicz über weite Strecken im gülden funkelnden Barden-Outfit – gibt es auch dort kein Entrinnen. Die Panik der Schatten ist groß. Bloß nicht wieder Körper werden müssen! „Schatten sollten Körper werfen“ heißt es einmal, aber so leicht tut man sich als ungefragte jenseitige Frau auch mit solchen Wundern nicht. Was hintersinnige Pointe ist, wird an dem Abend rasch Kalauer.

Aufführungen bis 20. Februar - www.burgtheater.at
Bilder: Burgtheater / Reinhard Werner