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Pegasus hebt das Bein und setzt Duftmarken

REST DER WELT / WIEN / DIE SCHÖNEN TAGE VON ARANJUEZ

16/05/12 Ganz leicht hat Peter Handke es nicht mit sich selbst, auf seinem Weg der Selbststilisierung als Dichterfürst schlechthin. Jedes Wort ist formschön zurechtgedrechselt mit dem durch reife Weltsicht extra fein geschärften Werkzeug. – Luc Bondy hat bei den Wiener Festwochen „Die schönen Tage von Aranjuez“ aus der Taufe gehoben.

Von Reinhard Kriechbaum

Sie kann einem wirklich leid tun, die Frau, die keinen Namen, aber Erinnerung in Fülle in sich trägt. Nach etwa anderthalb Stunden sucht sie endlich von sich aus die Nähe jenes Mannes, mit dem sie bis dahin „einen Sommerdialog“ eher auf Distanz geführt hat. Sie rückt ihm körperlich ganz nahe, und der unsensibelste Kerl müsste ein Prickeln spüren – doch bei diesem Typ sind Hopfen und Malz verloren. Er läuft nur verbal zur Hochform auf und hebt an zu einer Vorlesung über die aus den königlichen Küchenbeeten von Aranjuez entfleuchte Saat, über Pflanzen, die draußen weiterleben und mutieren. Tiefgründige Betrachtungen über das Wesen der Johannisbeere statt einer Umarmung oder gar einem filmtauglichen Kuss…

Hätte man nicht schon viel früher jede Hoffnung aufgegeben, jetzt wäre es jedem sonnenklar: Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen. Wie lange braucht ein Poet wie Peter Handke, um diese Botschaft zu transportieren? Etwa siebzig Seiten gedruckten Text, den Luc Bondy mutig zusammengestrichen und mit Dörte Lyssewski und Jens Harzer auf die Bühne des Akademietheaters gehievt hat.

Mann und Frau im „Sommerdialog“ also, will heißen: in einer entspannten Atmosphäre, leichtfüßig. Ganz so leicht im Schritt dann doch nicht, denn es wurden „Spielregeln“ ausgehandelt (welche genau, erfahren wir nicht). Er fragt, sie antwortet. Das Thema: Die Lieben der Frau, ihre Erfahrungen, Beweggründe, und natürlich auch ihre Empfindungen. „Das erste Mal du mit einem Mann, wie ist das gewesen?“ Ein einsilbiges Ja oder Nein gilt nicht, die Regeln sehen offenbar Ausführlicheres vor. Ob Hingabe oder Distanz, ob Vertrauen oder verborgene Rachegefühle – die Befindlichkeiten werden durchdekliniert.

Handkes Tochter Amina hat den Spielort gestaltet. Eine Bühne aus Schauspieler-Perspektive, im Hintergrund der Vorhang. Ein Klapptisch und zwei Klappsessel. Kulissenteile stehen herum. Zuerst trägt die Frau ein schwarzes Kleid – vielleicht hat sie eben die Eboli gespielt. Der Mann taucht durch die Bodenklappe auf, in Unterhose und mit langen Strümpfen, den spanischen Kragen hat er noch um den Hals. Don Carlos? „Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende“, heißt es dort. Bei Peter Handke sind sie auch vorbei (aber nicht im Titel). Sie werden aber herbeigeredet, hinterfragt. Möglichst jeder Satz soll taugen für die Zitaten-Schatzkiste. Da könnte doch glatt jemand kommen und die Sache als etwas gar selbstverliebt abtun. Pegasus hebt das Bein und setzt gar viele Duftmarken.

Den Schmerz, „zugleich lebendig und allein zu sein“ – den lässt Dörte Lyssewski doch denkbar eindringlich spüren: die schaumgebremste Vitalität, die sich in so vielen Gesten und Bewegungen Bahn bricht. Sie hat so unendlich viel Papierenes von sich zu geben („Jemand ohne Silhouette verheißt nichts“), aber sie sagt es, dass man gerne zuhört. Leise, sehr leise spricht sie, als ob sie sich selbst das Verblasste erst wieder vergegenwärtigen muss. Das spanische  Kostüm wechselt sie bald mit einem leichten, einfärbigen Sommerkleid. Darin kann man sich nicht verstecken, da muss man echt sein. Zwischen Zerbrechlichkeit und Selbstbestimmtheit pendelt diese schwer zu ergründende Figur.

Jens Harzer ist der Mann, der in viele unterschiedliche Gewänder steigt und ebenso viele Charaktere einnimmt oder parodiert. Wenn die Frau erzählt, dann ist er manchmal genau dieses erinnerte Gegenüber von damals – oder er ist es gerade nicht. Die Ungewissheit hat Methode, schließlich ist von vorneherein nicht auszuschließen, dass hier ein Paar eine Art Selbsttherapie unternimmt und die eigene Biographie etwas verquerer Zweisamkeit aufarbeitet. Wenn’s so ist, dann ist sie die stärkere, er aber der bestimmende in der Beziehung.

Handkes Diagnose ist rabenschwarz. „Die Gegenwart eines Mannes war nie eine Lösung.“ Damit macht er sich auch in Feministinnenkreisen zitierbar. Mehrmals versucht sich die Frau nach hinten davon zu machen, immer wieder wird sie vom Mann ohne Gewalt, aber bestimmt an der Hand zurückgeführt. Zuletzt geht er ihr nicht mehr nach – aber sie kommt freiwillig. Wortlos, mit gesenkten Blicken sitzen die beiden einander gegenüber, wie ein altes Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat. Das ist ein  stärkeres Bild als alle Sprach-Bilder zuvor.

Wenn ein neuer Handke zur Disposition steht, ist Beifall angesagt. Im Akademietheater ist er artig, aber herzlich un-beherzt ausgefallen. Versprengte Bravo-Rufer haben ihn nur unwesentlich aufpeppen können. Offenbar ist Handkes Botschaft vom Aneinander-vorbei-L(i)eben nicht so recht angekommen.

Aufführungen bis 7. Juni im Akademietheater – www.festwochen.at
Bilder: Wiener Festwochen / Ruth Walz

 

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