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Den Atem hauchen dem Abend die Sänger ein

REST DER WELT / WIEN / LA TRAVIATA

10/10/11 Dreißig Jahre lang gehörte Otto Schenks Klassiker zum Staatsopern-Inventar und versprühte zuletzt nur noch verblichenen Charme. Die neue Inszenierung ist eine Koproduktion  mit dem Festival in Aix-en-Provence koproduziert, wo im vergangenen Juli Premiere war.

Von Oliver Schneider

altJean-François Sivadier verpasste dem Schicksal der Pariser Kurtisane einen „zeitlos“-modernen Rahmen, geht es doch im Kern um den Kampf zwischen dem unausweichlichen Tod und dem Willen, zu leben und sich zu vergnügen. Sivadier fokussiert sich ganz auf die schwindsüchtige Violetta, ihren Geliebten Alfredo und seinen Vater Giorgio, lässt die Comprimarii blass zurücktreten. Das Brindisi singen Violetta und Alfredo bezeichnenderweise im gleissend-kalten Lichtkegel eines Spots, wozu man Alfredo allerdings zwingen muss. Auf das Wesentliche konzentriert ist auch das, was Alexandre de Dardel und Virginie Gervaise szenisch und an Kostümen geschaffen haben. Begrenzt wird der Spielraum durch eine Ziegelsteinwand im Hintergrund; vorne ermöglicht ein blauer Vorhang rasche Ortswechsel. Die Spielorte werde durch wenige Versatzstücke auf der puristischen Bühne angedeutet: Kristallleuchter für Violettas Haus und Floras Palais, die sich gleichzeitig von Symbolen des prallen Lebens zu Zeichen des Todes wandeln, indem sie in der Schlußszene auf Halbmast gesetzt werden. Den Gegensatz Stadt/Land deuten Naturprospekte an. Alles in allem gerade genug für ein Kammerspiel – und eine Produktion fürs Wiener Repertoire.

altDen Atem hauchen dieser Produktion die drei Protagonisten ein, ohne deren darstellerische Größe die Inszenierung im Repertoirealltag der Gefahr der Langeweile ausgesetzt sein könnte. Das wird sich zeigen, schon im kommenden Mai, wenn die erste Umbesetzung ansteht. Am Premierenabend durfte man sich erst einmal an einer mustergültigen Besetzung erfreuen.

Natalie Dessay mag stimmlich nicht als Idealbesetzung für die Violetta erscheinen, denn in der Tiefe fehlt ihr die nötige Substanz. Doch dieses Manko macht sie allein durch ihre Bühnenpräsenz wett. Hinzu kommt die breite Palette an Farben, die sie ihrer dramatischer gewordenen Stimme zu entlocken weiss. Schlicht ein Ereignis ist ihre Szene am Ende des ersten Akts, in der sie im Cantabile zwischen Liebe und Vergnügen hin und her taumelt und dann in der Cabaletta ein Koloraturfeuerwerk als Zeichen des Sieges des Vergnügens über die ernsthafte Liebe entfacht. In der Todesszene beweist die Dessay, dass sie eine der großen Sängerdarstellerinnen ist. Dass sie wie einst Edita Gruberova in Donizettis „Roberto Devereux“ die blonde Perücke vom Kopf nimmt, erweist sich nicht als eine billige Kopie, sondern geradezu als zwingendes Symbol dafür, dass Violetta den Kampf gegen den Tod verloren hat.

altAuf diesem Niveau halten auch ihre beiden männlichen Kollegen mit. Des Amerikaners Charles Castronovo gut sitzende, volle und dunkel-grundierte Stimme besitzt den nötigen verführerischen Schmelz für den temperamentvollen jungen Alfredo, der seine Geliebte aus Eifersucht auf dem Fest bei Flora mit fesselnder stimmlicher Strahlkraft demütigt. Castronovo wünscht man ausreichend Klugheit bei der Auswahl seiner Rollen, damit die Stimme sich langsam weiterentwickeln kann.

Fabio Capitanucci schließlich, der den Giorgio Germont zuerst als kühlen, aber durchaus nicht unsympathischen Rationalist und später als mitfühlenden Vater gestaltet, überzeugt stimmlich mit seinem üppigen und kultivierten Timbre. Balsamisch strömen die Kantilenen in seiner Arie „Di Provenza, il mar, il suol“ sowie im zentralen Duett mit Violetta im zweiten Akt. Für Bertrand de Billy ist „La traviata“ nach „Don Carlos“ die zweite Verdi-Neuproduktion im Haus am Ring. Er setzt auf ein sorgfältig austariertes, durchsichtiges Klangbild, in dem das strikte Beachten der dynamischen Vorgaben zu einer stringenten Lesart der Partitur führt. Kein Umtata, keine äußerlichen Effekte, dafür ein über weite Strecken zerbrechlicher Ton; Tod und Leben liegen bei Verdi ganz nah beieinander. Das Staatsopernorchester setzt de Billys Vorgaben mit präzisem Spiel um. Zuverlässig ist schließlich der von Thomas Lang einstudierte Chor, überflüssig nur die mäßig spanisch anmutende Tanzszene auf Floras Maskenball (Choreographie: Boris Nebyla).

Weitere Vorstellungen am 12., 15., 18., 21. und 24. Oktober sowie im Mai 2012 - www.staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

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