Haydn und sein tolles Team

REST DER WELT / STYRIARTE

18/07/11 Haydn hat gewusst, wie er sich vorstellt: als gereifte Perle, als er sich und seine symphonische Kunst dem Londoner Publikum offerierte - aber auch schon knappe vier Jahrzehnte vorher, als es galt, den Fürsten Esterhazy zu überzeugen. - Das war beste "Weltmusik", die das "Officium novum" des Hilliard Ensembles und von Jan Garbarek nur schaumgebremst liefert.

Von Reinhard Kriechbaum

Nikolaus Harnoncourt hat bei der Styriarte in Graz am vergangenen Wochenende (15./16./17. Juli) eine sinnliche Haydn-Lektion verordnet, quasi zwei Lehrstunden zum Riechen, Schmecken, Anfühlen: "Le matin", "Le midi" und "Le soir" ist jene Symphonien-Trias aus dem Jahr 1761, mit der Haydn, damals gerade als  Vizekapellmeister an den Eisenstädter Fürstenhof gekommen, sich als Kreativ-Geist  einführte. Ein respektabler Sonnenaufgang schon damals, und ein Gewitter, in dem die Streicher Schauer und Böen übers Podium jagen. Aber bemerkenswerter Weise  kein Donnergrollen mit Pauken-Unterstützung.

Was noch viel auffälliger ist an dieser frühen Symphonien-Trias (Nr. 6 bis 8  in der Hoboken-Zählung): Es sind verkappte "Concertante"-Sätze, viele Instrumente treten solistisch hervor. Da darf also die Querflöte ein ums andere Mal mit dem Konzertmeister dialogisieren. Kontrabass, Fagott, Bratsche geben "Le Matin" im Mittelteil des Menuetts einen grummelnden Unterton, als ob sich da ein Morgenmuffel nur zögerlich in die Betriebsamkeit des Tages hineinfinden wolle. Aber auch in den beiden Schwestersymphonien kommt jeweils im Menuett der Kontrabass exponiert zu Wort.

Der Concentus Musicus zeigte sich wieder einmal blendend aufgelegt - und es mag diesen Musiker nicht anders gegangen sein wie ihren Kollegen im Burgenland des Jahres 1761: Welcher Orchestermusiker  ist nicht froh, wenn er aus der Gruppe gleichsam heraustreten und sich mit gehörigem Effekt vorstellen darf? Wenn man das in der Harnoncourt eigenen Gesprächigkeit hört, wohl dosiert zwischen bedächtig, bärbeißig und übermütig, dann kann man sich spontan hineindenken in Haydns "Orchesterpolitik": der symphonische "Vordenker" und die vielen guten Leute im Orchester, die sich wohl bewusst waren, dass hier eine ganz neue Tonsprache entwickelt wird. Die Tageszeiten-Trias mag in diesem Sinn der Beginn eines für den Gang der Musikgeschichte ziemlich entscheidenden Teamworks gewesen sein.

Danach folgte fast logischerweise die Paukenschlag-Symphonie. Klar, dass Harnoncourt wie in den frühen Symphonien einen jeden Doppelpunkt ernst genommen und in alle Wiederholungen blendende Ideen investierth at: Da wurde der Paukenschlag zum Apercu.

Harnoncourt hat drei Mal die Helmut-List-Halle locker gefüllt. Auch das Hilliard Ensemble und Jan Garbarek haben einige Tage zuvor für ein volles Haus gesorgt. In der riesigen Herz Jesu Kirche haben sie ihr "Officium novum" ausgebreitet. Die Welt ist angeblich klein, aber doch eein gutes Stück größer, als man glaubt. Der armenische Komponist Komitas Vardapet (1869-1935) war einer aus dem weiten Feld der "nationalen Schulen", der nicht nur den Weg ins heutige Repertoire Konzertrepertoire, sondern auch in die meisten Musikgeschichte-Lehrbücher verfehlt hat. Er wollte eine ganz neue, "indigene" armenische Kirchenmusik kreieren. Hat nicht geklappt, der türkische Genozid an seinem Volk kam dazwischen, es war einfach der falsche Zeitpunkt, auch für musikalische Revolutionen. Das Programm "Officium novum" (längst auf CD dokumentiert) versammelt Gesänge von Komitas Vardapet und sonst Mancherlei und Allerlei. In fast alles hakt sich Jan Garbarek mit seinem live etwas aufdringlich-lauten Alt-Saxophon ein. So bekommt alles einen Touch von Weltmusik, verhilft zum angenehmen Gefühl eines weitem Horizonts und moderater Grenzüberschreitung. Im Prinzip aber bleibt die Sache eigenartig unverbunden, und sowohl die vier Herren des Hilliard Ensembles als auch Garbarek tümpeln in den jeweils eigenen Gewässern. Jan Garbarek ist die meiste Zeit im Altarraum improvisieren auf und ab marschiert, und die Hilliard-Sänger haben sich einige Mal im Kirchenraum verteilt. Die Kilometerleistung des Abends war für ein Konzert außergewöhnlich.

Die "Styriarte" geht am Sonntag, 24 Juli, zu Ende. Wie üblich ist in der letzten Woche Jordi Savall mit seinen Ensembles zu Gast: "Folias Criollas" lässt er am 21. Juli in Graz hören, Bachs "Hohe Messe" am 23. Juli in der Pfarrkirche Aflenz und eine Gamben-Matinee am 24. Juli. - www.styriarte.com