Der Teufel und sein lieber Gott

REST DER WELT / SCHAUSPIELHAUS GRAZ

14/12/10 Wieder machen sich Viktor Bodó und sein Team in Graz  erfolgreich über einen Stoff her, in dem echtes Leben und Magie verschwimmen. Der Teufel schlägt Stalin mit den eigenen Waffen in Bulgakows „Der Meister und Margarita".

Von Reinhard Kriechbaum

Das Team ist innig zusammen geschweißt: der ungarische Regisseur Viktor Bodó und seine Dramaturgin Anna Veress, der österreichische Bühnenbildner Pascal Raich, die ungarische Kostümbildnerin Fruszina Nagy und der deutsche Komponist und Arrangeur Klaus von Heydenaber. Mit Peter Handkes "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" waren sie zum Berliner Theatertreffen 2010 und zum Moskauer NET-Festival eingeladen. Kafkas "Schloss", Carolls "Alice in Wonderland", zuletzt Molnárs "Liliom" - all diese Dinge verbindet die Kombination aus Alltag und Magie, aus spielerischem Ernst und todtraurigem Humor. Solche Geschichten liegen diesem Grüppchen von ambitionierten Fabulierern.

Indem Bodó die Grazer Ensemblemitglieder mit Darstellern aus seiner Szputnyik Shipping Company (Budapest) zusammenbringt, hat er ein schier unerschöpfliches Reservoir an schrägen Typen, komischen Käuzen und tragischen Alltags-Clowns beisammen. Seit fünf Jahren realisiert der 1978 geborene Viktor Bodó jährlich eine Produktion in Graz. In diese Serie fügt sich fugenlos die neue Bühnenfassung von Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" ein.

"Es bedarf keines Standpunkts, er hat einfach existiert." Kann es einen überzeugenderen Fürsprecher geben für die Existenz Gottes als den Teufel selbst? Sein selbstloser Einsatz für den göttlichen Kollegen im Himmel kommt nicht von ungefähr. Leute, die an jenen nicht glauben, zweifeln bekanntlich auch am Belzebub. Einen fürwahr diabolischen Lacher setzt Franz Solar auf, wenn er mit seinem skurrilen Höllenpersonal das Moskau der Stalin-Ära aufmischt.

Dort durfte man zu jener Zeit (der Roman entstand zwischen 1928 und 1940) ja nicht von Gott reden, und das Böse benennen schon gar nicht. Genau so wie der Teufel in Gestalt des schwarzen Magiers Woland Leute zum Verschwinden bringt, so hat es auch Stalin gehalten. Der Teufel, der in dem Fall das Böse nicht will und das Gute schafft, schlägt das stalin'sche System mit den eigenen Methoden.

Die Zensur hatte Hochbetrieb, als Bulgakows Text auf den Schreibtischen landete. So wie in Bulgakows Text der "Meister" einen Roman über Pontius Pilatus (und Jesus) geschrieben hatte, so erging es letztlich auch dem Autor selbst. Aber: "Manuskripte verbrennen nicht" - das weiß sogar der Teufel.

Als grandiose Bühnen-Eskapade formt Viktor Bodó nicht nur jene Szene, wenn die gleichgeschalteten Literaturkritiker zusammensitzen und es einzelnen merklich schwer fällt, ihre (gute) Meinung zum Roman zu verbergen. Sehr plastisch arbeitet Bodo die Diskrepanz aus Sein-Wollen und Scheinen-Müssen heraus. Dass die beständige Verstellung im Leben wie auf der Bühne leicht in die Groteske kippt, ist einsichtig.

Bodó spart nicht mit grellen, parodistischen Effekten. Die Plakativität lässt nicht selten an Cartoons denken. Aber genau das ist eben die Theaterhandschrift des Ungarn und die passt ganz vorzüglich zu Michail Bugakows teils boshafter Ironie.

Die meisten Schauspieler übernehmen fünf und mehr Rollen in dem immens figurenreichen Stück. Das lässt die Typen ineinander fließen, jene die sich anpassen, mit dem Strom schwimmen, die Duckmäuser oder die Beinahe-Aufmüpfigen.

Köstlich Claudius Körber als Iwan Heimatlos, der in der Psychiatrie landet, weil er zu viel von seiner Begegnung mit dem Teufel erzählt hat. Der "Meister" - Jan Thümer - hat hier freiwillig ein Exil gesucht und gefunden. Hier lebt es sich ungeniert als freier Dichter. Birgit Stöger ist die zartgliedrige Margarita, die ihr (erfolgreich) subversives Wesen nicht mit Heroinengestus auslebt, sondern mit leise glühender Emphase. Das ist ja auch ein Merkmal von Viktor Bodós Theatersprache. So krass die Figuren gezeichnet sind, so parodistisch und popig Farbe aufgetragen wird: Im entscheidenden Moment entstehen genaue, tiefenscharfe Psychogramme und damit Figuren von hohem identifikationswert für die Theaterbesucher. Der Jubel nach der Premiere ist entsprechend üppig ausgefallen.

Auch das Bühnenbild ist ein kleines Bravourstück an Imaginationskraft. Sadowaja 302b, Wohnung 50 - die Adresse gibt's wirklich in Moskau - ist hier eine Raum-Skulptur aus kleineren und größeren schäbig tapezierten Zimmern, verbunden mit vielen Türen und einer steilen Treppe. Oben raucht es heraus aus diesem Zins-Haus, wo es dauernd klopft (das Synonym für das plötzliche Erscheinen des Geheimdiensts). Individuelles Leben ist nur an einem Ort möglich ist: im Narrenhaus, wo die einzigen "Normalen" ernsthafte, aufrichtige, mutige Gespräche führen.

Theater-Faszination schlechthin: jene Szene, in der sich Margarita als "Ballhexe" des Teufels verdingt: ein Hexensabbat als Scherenschnitt, der noch weitere Wunder des Bühnenbilds offen legt - zugleich eine präzis choreographisch durchgeformte Szene in sagenhaftem Einklang mit der Musik, wie er auf einer Schauspielbühne kaum einmal erreicht wird. Aber das ist ja das Besondere an Viktor Bodós länder- und spartenübergreifenden Arbeitstechnik: Wenn da von "Fremden" die Rede ist, dann kommt das ungarische Idiom durch, und für theatrale Grenzgänge hat er auch Leute mit Begabung zur Tänzerin und zur Sängerin parat.

www.buehnen-graz.com
Bilder: Bühnen Graz/Peter Manninger