Einspringer als Überflieger

REST DER WELT/GRAFENEGG/MUSIKFESTIVAL 2010

24/08/10 Für den Eröffnungsabend mit einer konzertanten Aufführung des „Fidelio“ hat es gar nicht rosig ausgeschaut: Der Absage von Kurt Rydl, für ihn sprang der in Luzern erfolgreiche Christof Fischesser als Rocco ein, folgte die von Johan Botha. Auch der erste Florestan-Einspringer, der Deutsche Endrik Wottrich, musste aus gesundheitlichen Gründen absagen. Der neuseeländische Tenor Simon O´Neill spielte im letzten Moment Feuerwehr – und brillierte.

Von Wolfgang Stern

Es ist beinahe ein „Grafenegger Fidelio“: ohne Dialoge dafür mit Zwischendurchtexten von Wilhelm Sinkovicz, die von Heribert Sasse eindrucksvoll gelesen wurden. Außerdem kann man sich bei einer konzertanten Aufführung voll und ganz auf die musikalische Umsetzung konzentrieren.

Das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester ist derzeit in Höchstform. Es war ein Goldgriff, sich den Dirigenten Andrés Orozso-Estrada aus Graz zu holen. Bleibt nur zu hoffen, dass der Kolumbianer, dessen Karriere steil nach oben zeigt, dem Klangkörper noch länger erhalten bleibt. Die im Fidelio oftmals geforderten Bläser lösten ihre Aufgaben mit Bravour, präzise agierte man insgesamt in allen Instrumentalgruppen.

Und die Sängerriege beeindruckte insgesamt: O´Neills erster Einsatz als Florestan - einer der schwierigsten in der Opernliteratur - kam strahlend und überzeugend. Insgesamt war seine Darstellung des Florestan ein Hörgenuss. Und auch der zweite Einspringer, Christoff Fischesser, wusste sich mit seinem sonoren Bass als Rocco zu profilieren. Falk Struckmann entlockte seinem Organ als Don Pizarro dosiert aggressive Töne von besonderer Strahlkraft, Anja Kampe war  im Finale eine überragende und höhensichere Leonore. Die gebürtige Slowenin (sie stamme aus Maribor) Bernarda Bobro (Marzelline) gab ebenso wie Alexander Kaimbacher (Jaquino) eine viel versprechende Visitenkarte ab. Sie rundeten das Gesamtbild einer hochkarätig besetzten Sängerriege ab.

Nicht vergessen werden darf der Arnold Schönberg Chor: präzis, ausgewogen und berührend die Herren im ersten Akt als Gefangenenchor, ebenso wohltuend der Chorklang als gemischtes Ensemble im zweiten Akt.

Auf den „Fidelio“ im Auditorium folgte tags darauf das Gastspiel des Cleveland Orchestras unter Franz Welser-Möst am Wolkenturm. Das Wetter spielte mit.

Neben seiner Tätigkeit als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper (ab kommendem September) wird Welser-Möst bis 2018 auch weiterhin dem angesehenen amerikanischen Orchester vorstehen. In Grafenegg wurde Musik vom Feinsten geboten: Kleinste Zeichen des Maestros werden in Tongemälde umgesetzt. Schuberts Vierte, die „Tragische“, ließ keine Wünsche offen. Die Wiedergabe der Tondichtung „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss darf man schon jetzt zu den Höhepunkten des diesjährigen Festivals zählen: Es gab nur Heldinnen und Helden im Orchestergraben.

Auf Strauss-Interpretationen sollte man in Wien und Österreich unter Welser-Möst nicht zu lange warten müssen. Höchste Anerkennung dem Orchester, das mit diesem Programm noch auf Europatournee unterwegs ist.