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Nicht mehr so frisch, der Fritz

SCHAUSPIELHAUS GRAZ / FISCHER FRITZ

01/03/23 Er will heim und nicht in ein Heim. Den alten Fischer hat der Schlag getroffen. „Fischer Fritz fischt nicht mehr. Lang schon nicht mehr. Keinen Fisch fischt Fischer Fritz. Kan anzigen.“ Ein Sprach-Kunstwerk aus feiner Poesie, Zungenartistik und leiser Wehmut ist Fischer Fritz von Raphaela Bardutzky.

Von Heidemarie Klabacher

Pflegekrise. Ausbeutung des Pflegepersonals. Störrigkeit der alten und Überforderung der jungen Generation. Dazu ein ungelöster Vater-Sohn-Konflikt und eine Hitzewelle, die den Pegelstand des Flusses sinken und die Forellen und Eschen verzweifelt spingen und nach Luft schnappen lässt...

Ein Panorama aller privaten und vieler ökologischer Probleme dieser Welt tut sich auf. Man erwartet plakatives Belehrungs- und Aktualitäts-Theater – und erlebt staunend die spielerische Entfaltung eines federleichten Sprach-Kunstwerkes, das sich mit Stücken eines Gert Jonke oder Gedichten eines Ernst Jandl oder Friedrich Achleitner in eine Reihe stellen kann. Wenn es um Griesnockerlsuppe geht, fällt einem doch tatsächlich die Nudelsuppe im Theatermacher ein...

„Herr Fritz spricht nie Deutsch. Sobald er redet, spricht er Dialekt.“ In glasklarem Hochdeutsch analysiert die ukrainische Schauspielerin Alina Danko als Pflegerin Uljana die Eigenheiten ihres Pflegebefohlenen. Der Schlaganfall macht dem ohnehin schweigsamen alten Mann die Sprache nicht mundgerechter. Für grantige Korrekturen reicht es allemal: „Griesnockerlsupp'n“ heiße das bei uns, knurrt er. Uljana schlägt mit einem ukrainischen Zungenbrecker zurück.

Dass Herr Fritz nicht „auf dem Sofa“, sondern „am Divan“ sein Mittagsschlaferl zu halten beliebt, hat sie auch bald gelernt. Wie witzig, die winzige ironische Pause samt Seitenblick, die Alina Danko das nächste Mal vor dem Wort „Divan“ einlegt. Staunenswert die Virtuosität, mit der die Ukrainerin den halsbrecherisch anspruchsvollen deutschen Text bei den Hörnern packt.

Ihr Schreibprinzip sei gewesen, „die möglichst komplizierteste und am schwierigsten auszusprechende Variante von Wörtern zu wählen", sagt die Autorin Raphaela Bardutzky. Die Sprache sitzt quasi als vierte Person aufmerksam und kritisch ebenfalls an dem überdimensionalen Küchentisch, an dem die Ausstatterin Julia Nussbauer neben den Protagonisten auch einen Gutteil des Publikums Platz nehmen lässt.

Die Text-Etüde, das spoken-word-Meisterstück von Raphaela Bardutzky wäre eine Herausforderung auch für jede Deutsch-Muttersprachlerin. Die ukrainische Schauspielerin stellt sich ihr mit Bravour. Eine polnische 24-Stunden-Pflegerin, die es nach Bayern verschlagen hat, war es ursprünglich. Im intimen HAUS DREI bei der österreichischen Erstaufführung im Schauspielhaus Graz ist es eine junge Ukrainerin, die in der Einschicht des steirischen Murtals strandet. Inhaltliche Unterstützung „bei der Übertragung des Settings in die Steiermark" leistete übrigens der Landesfischereiverband.

Aktualisierende Anspielungen auf den Ukraine-Krieg gibt es nicht. Nur einmal erinnert sich der alte Herr Fritz an eine junge Ukrainerin, die im Zweiten Weltkrieg auf dem elterlichen Hof gearbeitet hat. Da war der Fritz noch ein Kind... Jetzt, nach dem Schlaganfall, hat auch der charismatische Gerhard Balluch als Fischer Fritz seinen Kampf mit der Deutschen Sprache zu kämpfen. Er sagt nicht besonders viel, und vieles davon sagt er ohne Worte. Wenn er aber fragt, warum die junge Frau „um einen alten Krauterer“ wie ihn herumhüpft, „statt dass sie daheim heiratet und Kinder kriegt“, bringt er das Problem der gesamten fragilen Pflege-Situation im Westen, samt Ausbeutung der Pflegerinnen aus dem Osten auf den Punkt. Dass bei all diesen konkreten Problemen, die angesproechen werden, Poesie und Sprachkunst Überhand behalten, lässt staunen.

Sprache. Und Sprachlosigkeit: Zwischen dem alten Fischer Fritz und seinem Sohn, dem Friseur Franz, ist sie beinahe vollständig. Nicht zu überbrücken. Sebastian Pass als Friseur aus der Großstadt bringt ebenfalls einige ironische, beinhahe Bernhard'sche Sprachbilder und Raunzereien ein, darunter den  schlanken „Herrgott mit Sixpack“ in seinem Winkel oder das Elternhaus als „Landhausunfall“. Tatsächlich aber fehlen auch ihm die Worte, etwa für das Schuldgefühl, nicht den Beruf des Vaters aufgegriffen zu haben. Er spricht aus, worüber nicht zu sprechen ist, nie zu sprechen war: „Kein Wort über den Fluss, die Fische oder die Mutter.“ Dafür umso mehr über das Wetter...

Fischer Fritz ist, bei aller Sprach-Kunst-und-Komik, ein leises, poetisches und sehr trauriges Stück. Die Regisseurin Julia Skof inszeniert ihre drei Figuren in einer Art ruhigem, aber immer in Bewegung befindlichen gemeinsamen Sprachstrom, in dem die stupenden Soli von Alina Danko wie Wellenbrecher wirken.

Großes Theater in kleiner Form. Ein Wurf in Text und Inszenierung.

Fischer Fritz – weitere Aufführungen im HAUS DREI im Schauspielhaus Graz von 2. März bis 28. April – schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com

 

 

 

 

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