Knochenflöte und gequälte Seele

REST DER WELT / WIENER STAATSOPER / VON DER LIEBE TOD

11/10/22 Die Wiener Staatsoper erinnert mit der szenischen Umsetzung von Gustav Mahlers Opus 1 Das klagende Lied und den späten Kindertotenliedern an den Beginn seiner Hofoperndirektion. Mit gemischtem Erfolg.

Von Oliver Schneider

Seit Philippe Jordans Kritik am sogenannten deutschen Regietheater, dem folgenden Pingpong-Spiel zwischen ihm und Bogdan Roščić sowie dem Aufschrei darüber, dass die Staatsoper die Vergünstigungen für die „Freunde der Wiener Staatsoper“ gestrichen hat – oder besser streichen musste – tritt der künstlerische Auftrag des Hauses ein in den Hintergrund. Obwohl der Staatsopernherbst neben Carmen, La bohème & Co. auch Ausgefallenes zu bieten hat.

Mit der ersten Premiere wollte Roščić an das 125-Jahr-Jubiläum des Beginns von Gustav Mahlers Hofoperndirektion erinnern und hat die Kantate Das klagende Lied und die Kindertotenlieder zu einem Musiktheaterabend verknüpft. Es geht umTod und Trauer: Während im Klagenden Lied der Ältere von zwei Brüdern den Jüngern erschlägt, um die Königin zu heiraten, beklagt in den Kindertotenlieder ein Vater den Tod seiner Kinder.

Für die Regie war Calixto Bieito verpflichtet worden, der mit seinem Regieteam (Bühne: Rebecca Ringst, Kostüme: Ingo Krügler, Dramaturgie: Sergio Morabito) einen Bogen über beide Werke spannt. Die Premiere war am 29. September. Gespielt wird in einem weißen Raum, in den der Chor zu Beginn in Plastikfolie verpackten Bäume hereinträgt. Sie stehen für den Wald, in dem der jüngere Bruder eine seltene Blume für die Königin sucht, um ihr Herz zu erobern.

Am Pult gibt Lorenzo Viotti sein Hausdebüt. Ihm liegt das Schroffe und noch nicht bis ins letzte Detail Ausgereifte im im Klagenden Lied deutlich mehr, als die Verzweiflung im ausgereiften, fahlen Klang der Kindertotenlieder.

Viotti lässt das Orchester gerne aufrauschen, was die Sängerinnen und Sänger immer mal wieder an ihre Grenzen bringt. Auf der Habenseite zu verzeichnen sind die gute Koordination zwischen Graben, Bühne und Fernorchester.

Vom grellen Weiß wechselt die Beleuchtung mal ins Grüne und Blaue undim zweiten Werk nach Pink, was atmosphärisch Abwechslung bringt. Bieito erzählt das Gesungene ansonsten gut nachvollziehbar in den grellen Bildern.

Doch es fragt sich, ob Mahlers Werke die Bilder wirklich benötigen. Schaute man in der besuchten Vorstellung in die Gesichter vieler Zuschauerinnen und Zuschauer im nicht ausverkauften Haus am Ring, sah man viele fragende Blicke.

Das war anders bei der im Sommer von Romeo Castellucci szenisch realisierten Auferstehungssymphonie am Festival in Aix-en-Provence im verlassenen Stadion von Vitrolles in einem ehemaligen Bauxitabbaugebiet. Ob sich Von der Liebe Tod im Repertoire halten wird?

Die Besetzung kann nur teilweise überzeugen. Hausdebütant Florian Boesch gestaltet immerhin einen sehr intensiven klagenden und darstellerisch starken Vater in den Kindertotenliedern. Er schreckt auch vor rauen Tönen nicht zurück. Leider gestaltet er nur drei der Lieder. Für die restlichen zwei wird in Wien eine Mutter eingeführt, bei denen Monika Bohinec im hohen Register einige Mühen hören lässt. Zu schmalbrüstig ist auch der Sopran von Vera-Lotte Boecker, während Daniel Jenz den Tenorpart im Klagenden Lied mit sicher geführter Stimme gestaltet. Johannes Pietsch und Jonathan Mertl lassen die klagende Knochenflöte des jüngeren Brüders Mark und Bein durchdringend ertönen. Und Thomas Lang hat den Staatsopernchor und die Kinder der Opernschule präzise und kompakt vorbereitet.

Von der Liebe Tod  weitere Vorstellungen am 13. Oktober, sowie am 6., 8., 11. und 16. Mai 2023 - www.wiener-staatsoper.at 
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn