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GPT-2 ist am Wort

LINZ / LANDESTHEATER / PROMETHEUS UNBOUND

17/12/19 Ein zufällig hingeworfenes Wort aus dem Publikum? „Lotosblume“, sagt die Dame spontan. „Stark duften“ ist eine nahe liegende Assoziation. An diesem Abend verbreitet diese Büte ein so betörendes Aroma, dass – noch so eine Idee eines Premierengastes – einer „den Dampfkochtopf vergisst“.

LINZ / LANDESTHEATER / PROMETHEUS UNBOUND

17/12/19 Ein zufällig hingeworfenes Wort aus dem Publikum? „Lotosblume“, sagt die Dame spontan. „Stark duften“ ist eine nahe liegende Assoziation. An diesem Abend verbreitet diese Büte ein so betörendes Aroma, dass – noch so eine Idee eines Premierengastes – einer „den Dampfkochtopf vergisst“.

Von Reinhard Kriechbaum

Der spontan erdachten surreale Satz wird rasch übersetzt ins Englische und eingetippt in eine Wort-Kreativ-Maschine mit dem hübschen Namen GPT-2. In diesem Computerprogramm sind schon Wörter drin. Unendlich viele Wörter, in unendlich vielen Sätzen. Angeblich würde ein Mensch, der die zehn Gigabite Text liest, dafür 1.300 Jahre brauchen – ohne Essens-, Schlaf- und Rauchpausen. Wollen wir die Hochrechnung mal so stehen lassen, auf ein paarhundert Jahre plus minus soll es nicht ankommen.

Es geht in dem neuen Projekt Prometheus unbound der beiden CyberRäuber – den Berliner Medienkünstlern Marcel Karnapke und Björn Lengers – ja nicht um Menge, sondern darum: Kann die Maschine wirklich von uns so viel lernen, dass sie von sich aus „vernünftig“, gar kreativ handelt? Im Journalismus, für nüchterne Meldungen, gibt es das im Alltag schon. Warum jetzt der Stücktitel „Prometheus unbound“? Prometheus hat dem Menschen das Feuer gebracht hat, und dagegen war Zeus machlos, obwohl er den Störefried anketten und peinigen ließ. Wenn man die künstliche Intelligenz mal so fuhrwerken ließe wie Prometheus – was für Folgen könnte das auf der Theaterbühne haben?

Die CyberRäuber schicken ihr Publikum gerne mit virtuelle Realität produzierenden Brillen-Kästchen ins Theater oder sonstwohin (zuletzt in Sachen Romeo&Julia beim Kunstfest Weimar oder für die Oper Freischütz in Karlsruhe und Linz). Diesmal, auf der Studiobühne des Linzer Landestheaters, sitzt man total analog auf Kissen. Sogar auf dem mit spiegelnder Silberfolie ausgelegten Podest darf man Platz nehmen. „Bühne“ nämlich wird es sowieso keine geben, nur Projektionen an zwei Seiten. Da sehen wir, wie ein Satz eingetippt wird in die Suchmaske und wie das Wunderding GPT-2 dann selbsttätig weiterschreibt, Wort für Wort, Satz für Satz. Der Cursor auf der Bildschirm-Projektion hüpft dahin, das erleichtert das Mitlesen. Schauspielerin und Schauspieler (Angela Waidmann, Alexander Julian Meile) bekommen den Text per Kopfhörer eingesagt und rezitieren ihn als spontane Doppelkonference, gemeinsam, abwechselnd.

Angeblich läuft das in jeder Vorstellung anders. Um die Kreativ-Optionen und die Spontaneität des Computers tatsächlich einschätzen zu können, müsste man sich die nicht ganz einstündige Performance öfters ansehen. Man durchschaut ja nicht immer gleich, welche Textteile festgelegt sind und wie variantenreich sich der computergenerierte Text entwickelt. Langweilig täte es einem vermutlich auch beim fünften Mal nicht werden. Den Schauspielern gewiss auch nicht!

Dem Projekt eignen dadaistische Züge. Kurz werden – ein Beispiel nur – die Vorzüge eines „primären Badezimmers“ diskutiert (was mag das sein?), plötzlich kippt die Geschichte in eine Strandszene. Öfters mal scheint die Vorstellungskraft der Künstlichen Intelligenz an ein Ende zu kommen. Dann beißt sich GPT-2 an einem Wort fest, fühlt sie sich merklich auf sicherem Terrain und dekliniert Phrasen ziemlich redundant durch. Der Computer für Dichtkunst wird zur Katze, die sich in den Schwanz beißt.

Immer wieder sprechen die beiden Darsteller das Publikum direkt an, erklären die Versuchsanordnung und die Ziele des Projekts. Es geht letztlich um die Frage, ob Künstliche Intelligenz sich als etwas Eigenständiges, ernst zu Nehmendes emanzipieren kann. Könnte sie ein willkommener Partner von Theaterleuten sein, ein ernsthafter Widersacher gar? 55 Minuten reichen natürlich bestenfalls zum Anreißen von Fragen. Antworten gibt's vielleicht in Jahren. Ein Job als Wahrsager wäre höchst undankbar, in Zeiten, in denen in der Technik so viel weiter geht.

Es werden auch andere Kunst-Sparten vorgestellt, wo Künstliche Intelligenz ebenfalls eingesetzt wird. Was auf den ersten Blick nach Porträtfotografie aussieht, ist bloß computergenerierte Chimäre. Auch das eigentlich Vertrauen erweckende Gewabere eines Klaviers hat keinen Menschen zum Schöpfer.

Oder doch? Am Anfang der Kette von imaginären „Gedanken“ und „Ideen“ jeder Künstlichen Intelligenz steht ja der Mensch, Text eingebend, programmierend. Und im Theater stehen am Ende wieder Menschen, das Publikum. Auch virtuelle Realitäten landen also beim Souverän. Da ist der Theaterkunde doch noch König. Wir Könige durften bei der Uraufführung in Linz nachdenklich werden, immer wieder rätseln – und uns gar nicht wenig amüsieren, wenn's GPT-2 allzu bunt getrieben hat mit seiner Kunst des Weiter-“dichtens“.

Aufführungen bis 30. Jänner 2020 auf der Studiobühne des Linzer Landestheaters – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Petra Moser

 

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