Welt(en)theater an der Donau

WIENER FESTWOCHEN / START UNTER NEUER LEITUNG

20/05/19 Christophe Slagmuylder hat die Leitung der Wiener Festwochen kurzfristig übernommen. Er verzichtet auf eine thematische Klammer und bietet eine ausgewogene Mischung aus sozialem Theater (etwa in sozial benachteiligten Bezirken Wiens), Stars (Isabelle Huppert, Robert Wilson, Romeo Castellucci) und hierzulande kaum oder völlig unbekannten Künstlern.

Von Jörn Florian Fuchs

In den letzten beiden Sommern boten die traditionsreichen Wiener Festwochen ein ziemlich verwirrendes und dennoch homogenes Bild. Denn Intendant Tomas Zierhofer-Kin suchte sein Publikum hauptsächlich für diverse Genderthemen zu begeistern. 2017 hatte das durchaus Charme, wenngleich queere Massagen und eine ganze Armada von Dragqueens sicher nicht jedermanns Sache waren. Auch 2018 setzte Zierhofer-Kin auf möglichst anti-mainstreamige Themen und bot eine reichlich zersplitterte Dramaturgie, die in Wien traditionell immer gern gesehenen großen (Theater-)Namen fehlten fast vollständig. Zuschauerrückgang und eher schlechte Presse sorgten für einen sehr kurzfristigen Intendantenwechsel.

Nun hat der vormals in Belgien überaus erfolgreiche Christophe Slagmuylder die Leitung übernommen und in Windeseile ein extrem vielfältiges Programm zusammen gestellt. Slagmuylder verzichtet bewusst auf ein Motto oder einen roten Faden. Dafür bietet er eine ausgewogene Mischung aus sozialem Theater (etwa in sozial benachteiligten Bezirken Wiens), Stars (Isabelle Huppert, Robert Wilson, Romeo Castellucci...) und hierzulande kaum oder völlig unbekannten Künstlern.

Die ersten Premieren waren überwiegend in weiblichen Händen und überzeugten durch ganz unterschiedliche Ästhetiken und Handschriften. So bietet die im Senegal geborene, in Japan aufgewachsene, mit kuwaitischen Wurzeln versehene Künstlerin Monira Al Quadri eine sinnliche Reflexion über patriarchale Strukturen und Geschlechteridentität. Phantom Beard nennt sie ihr in Wien uraufgeführtes Projekt, das zwischen Performance, Filmclip und Tanz changiert. Es ist eine Art Séance, in der Al Quadri ihren männlichen – sehr bärtigen – Vorfahren begegnet und sich von den enervierend per Video auf sie einstürmenden Herren zu emanzipieren sucht. Dazu fliegen Meteoriten über die Leinwand, brennende Wassertropfen verwandeln sich in munter herumspringende Spermien – das Ganze ist ein sanft ironisches Stück, es hallt lange nach.

Auf ebenfalls nachhaltige Wirkung hat es die Portugiesin Mónica Calle abgesehen. Sie zeigt mit Ensaio para uma Cartografia zwei Stunden lang feminin-feministisches Körpertheater. Ein Dutzend Frauen tanzt völlig nackt zu Maurice Ravels Bolero, erst hört man eine Probe Zubin Mehtas mit einem schwedischen Orchester (der Dirigent singt und stöhnt bisweilen auf irritierende Weise mit), dann gibt es das Stück mehrfach ganz zu erleben. Die Damen entäußern sich wortlos, mit stampfenden Bewegungen, oder sie tanzen tatsächlich auf Spitze! Zeitweise musizieren sie (ehrlich laienhaft) auf Streichinstrumenten. Der anfängliche Voyeurismus verwandelt sich bald in ein intensives Miterleben archaischer Körperlichkeit.

Auch die Norwegerin Mette Edvardsen sorgte mit Penelope Sleeps für eine ganz neuartige Erfahrungswelt. Sie, sowie eine Sängerin (fulminant: Angela Hicks) und ein Musiker (Multitalent: Matteo Fargion), liegen hochkonzentriert auf dem Boden, bewegen sich nur selten und wenn, dann sehr minimalistisch. Dazu rezitiert Edvardsen mehrere Geschichten, die mythische Penelope ist nur Ausgangspunkt für recht gegenwärtige Reflexionen über Einsamkeit und Zeitkonzepte, über sehr persönliche Erfahrungen. Auch dies wiederum eine konzentrierte, sowohl sinnliche wie strenge Arbeit.

Eher eingängig war dagegen Mariano Pensottis fünfeinhalbstündiger Theatermarathon Diamante über eine fiktive Dschungel-Stadt in Argentinien (zu sehen war das Stück bereits bei der Ruhrtriennale). Erzählt wird hier in und vor elf Häuschen, das Publikum wechselt alle acht Minuten von einem zum nächsten und bekommt langsam aber sicher mit, welche Schicksale sich an diesem von Korruption und Gewalt beherrschten Ort abspielen. Am Ende gewinnt eine rechte Partei die Wahlen und Diamante wird verramscht. Was für eine Koinzidenz mit den politischen Ereignissen vom Wochenende! Was sich da rund um den Wiener Ballhausplatz abspielte, war ja selbst eine denkwürdige Inszenierung, allerdings völlig spontan und ohne einen oder mehrere Spielführer...

Wiener Festwochen – bis 16. Juni – www.festwochen.at  
Bilder: Wiener Festwochen / Monira Al Quadri (1); Bruno Simao (1); Werner Strouven (1); Nurith Wagner-Strauss