Historisch und zeitlos zugleich

WIEN / THEATER AN DER WIEN / MARIA STUARDA

22/01/18 Christof Loy inszeniert eine minimalistische „Maria Stuarda“ mit Marlis Petersen als schottischer Königin und Alexandra Deshorties als deren Gegenspielerin auf dem englischen Thron. Premiere war am Freitag (19.1.) im Theater an der Wien.

Von Oliver Schneider

Gaetano Donizetti war bei seiner „Maria Stuarda“ vom Pech verfolgt. Die Zensoren in Neapel verlangten zunächst eine Überarbeitung des Librettos, so dass auch die Musik angepasst werden musste. Zur Uraufführung gelangte jedoch auch diese Fassung nicht, sondern erst eine dritte, für Mailand 1835 entstandene Version, in der zu allem Unglück die große Maria Malibran noch indisponiert war. Erst in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Werk wiederentdeckt, und heute liegt zum Glück auch eine kritische Edition vor, die die Grundlage für die Wiener Neuproduktion im Theater an der Wien bildet.

In gewohnt minimalistischer Manier konzentriert sich Christof Loy ganz auf das Schicksal der beiden verfeindeten Königinnen. Während er und sein Regieteam (Ausstattung: Katrin Lea Tag, Licht: Bernd Purkrabek, Dramaturgie: Yvonne Gebauer) den ersten Teil bis zur das Schicksal der Stuart entscheidenden Begegnung zwischen den beiden Königinnen im Park von Fotheringhay historisch durch die Kostüme andeutungsweise verorten, stehen einander im zweiten Akt die beiden Frauen zeitlos gekleidet gegenüber. Das ungleiche Machtgefüge – hier die Selbstbewusstsein zeigende Elisabetta, dort die gefangene schottische Königin Maria – unterstreicht die Inszenierung durch die Bewegungschoreographie des Gefolges: den schauspielerisch geforderten Arnold Schoenberg Chor (Einstudierung: Erwin Ortner und Roger Diaz Cajamarca) und die Statisterie, die die Regentin immer wieder umschwärmen, deren gefangene Halbschwester dagegen feindlich umzingeln.

Dass das Verhältnis der beiden Frauen nicht ganz so klar ist, wie es scheint, spiegelt die Drehbühne, die sich wellenartig auf und ab bewegt und damit die schwankenden Gefühle der Frauen und ihre Seelenzuständen symbolisiert. Die Idee ist bestechend, wenn auch akustisch nicht immer optimal, vor allem, wenn sich die Protagonisten vom Publikum wegdrehen und beim Singen ein Halleffekt entsteht.

Die eigentliche Ursache des gegenseitigen Hasses der Königinnen ist bei Donizetti nicht politisch bedingt, sondern gründet auf der Liebe zum selben Mann, Roberto, dem Graf von Leicester. Dies macht Verortung des zweiten Akts im Heute nahezu zwingend, denn hier geht es um die innersten Gefühle zweier liebender Frauen, von denen Maria schlussendlich als im Tod Verzeihende die Stärkere ist. Sie wird von ihrer Widersacherin persönlich hingerichtet.

Wirkt Marlis Petersen in der Begegnung mit Elisabetta, in der sie sich von der Halbschwester provoziert zur schicksalhaften Beleidigung, dass ein Bastard England regiere, hinreissen lässt, noch etwas blass, wächst sie in der Preghiera im zweiten Akt zur großen Heroin mit wunderbaren Legati in der Stimme heran, der alle Sympathien des Abends zufließen müssen.

Alexandra Deshorties ist ihr in der Partie der englischen Königin eine leidenschaftliche Gegenspielerin, der die Koloraturen in ihrer Auftrittskavatine „Sì, vuol di Francia il Rege col mio core l’Angelo trono“ prachtvoll gelingen. Im zentralen Duett der beiden Königinnen stehen sich im Theater an der Wien zwei ebenbürtige Protagonistinnen gegenüber, die auf ihre Art perfekt miteinander harmonieren.

Etwas blass wirkt neben ihnen Norman Reinhardt als Leicester, der im ersten Akt auch mit den geforderten Höhen zu kämpfen hat. Stefan Cerny hingegen strahlt als väterlicher Talbot Autorität aus, Natalia Kawalek ist Marias Vertraute Anna. Tobias Greenhalgh gibt einen zu wenig berechnenden Lord Cecil, der Elisabetta in der Notwendigkeit, Maria zu verurteilen, zu bestärken sucht. Von Paolo Arrivabenis Dirigat am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters gehen zunächst nur wenige Impulse aus. Erst im zweiten Akt zeigen der eigentlich Belcanto-erfahrene Dirigent und die Musik das nötige Gespür für die fließende, geschmeidige und ungemein dichte Musik. Am Ende gab es viel Jubel für die musikalische Seite des Premierenabends, während das Regieteam einige Missfallenskundgebungen einstecken musste.

Maria Stuarda – weitere Vorstellungen im Theater an der Wien - 23., 26., 27., 28. und 30. Jänner - Ö1 überträgt die Aufführung am 27. Jänner um 19.30 Uhr www.theater-wien.at
Bilder: Monika Rittershaus