Wo brodelnd Ursüppchen auskochen

REST DER WELT / GRAZ / DER THERMALE WIDERSTAND

26/04/17 Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Auch pralle Metaphern können so humpelnd daher kommen wie die Kurgäste, die jeden Morgen aufs Neue anheben zum Einstieg ins Thermalwasserbecken. „Ich werde mich doch eher in Ruhe lassen“, befindet dann regelmäßig einer, worauf man wieder den geordneten Rückzug antritt Richtung Liege im Ruheraum.

Von Reinhard Kriechbaum

Dort ist die „Pumpernickelplattenverschiebung“ im Magen Grund für auffällige Geräusche. Mit tektonischen Unwägbarkeiten ist eben zu rechnen in einer Thermenregion, wo das neueste Stück von Ferdinand Schmalz spielt. Es wurde im Grazer Schauspielhaus als Österreichische Erstaufführung präsentiert.

Ferdinand Schmalz, 1985 in Graz geboren, 2013 mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet, mit seinem Erstling „am beispiel der butter“ zu den Mühlheimer Theatertage eingeladen, im selben Jahr von Theater heute zum Nachwuchsautor des Jahres gewählt und mit „dosenfleisch“ sehr präsent auf den Bühnen, kommt derzeit mit dem Textdrechseln kaum nach. Die Systemfehler der Gesellschaft und die Drangsal der wenigen Individualisten – das will benannt, in saftige Bilder hinein- oder aus ihnen herausgepresst sein. In jedem Stück möglichst viel davon. Da bekommt man Stress als Jung-Autor. Vielleicht deshalb hat Ferdinand Schmalz mit dem vorigen Herbst in Zürich uraufgeführten dritten Stück, „der thermale widerstand“ einen Ort der Entschleunigung ausgesucht: ein Heilbad, wo es sich freilich bald „ausrelaxed“ haben wird. In einen Wellnesstempel für Betuchte soll es nämlich verwandelt werden.

Da ist einer wie Bademeister Hannes gefragt, ein abgebrühter Fachmann der Balneologie. Sein historisches und soziologisches Thermen-Wissen reicht zurück bis in die Antike, mit missionarischer Souveränität setzt er die Klapptafel „Vorsicht Rutschgefahr“ an die rechte Stelle. So einer ist gerade recht am Platz, um des kleinen, leidenden Mannes Selbstverliebtheit in die Bresthaftigkeit zu schützen. Der Bademeister, Alter Ego des Autors wohl, setzt in einem Monolog noch eins drauf, vergleicht die Therme mit dem Theater, das der Sprache Freiräume zurückerobert, die ihr gezielt oder durch Gedankenlosigkeit genommen worden sind. Ähnlich also sei das Thermalbad als Hort einer „neuen Freiheit, die sich zum Horizont öffnet“.

Auf so etwas kann man wohl nur kommen in der Ionenwolke dampfenden Wassers, an einem Ort, „wo brodelnd Ursüppchen auskochen“. Der Trick von Ferdinand Schmalz, seine Marotte oder seine Masche: Es ist ihm kein Sprachbild zu seicht und andrerseits kein Gedanke zu tief, und die unterschiedlichen Pegelstände führen zu tollkühnem poetischen Auf-Grund-Laufen oder zu formulierverliebten Absauf-Situationen.

Viel Dampfbad und Aufguß also. Spontaner Witz und Situationskomik müssen drüber tragen übers Fremdschämen dafür, wie das allgegenwärtige Jelinek'sche Vorbild eigentlich zu Tode geritten oder hier eben ersäuft wird. Der begabte junge ungarische Regisseur András Dömötör hat das verstanden (oder wenigstens instinktiv erfühlt?) und reizt die Komik aus. Ein Zweikampf mit Bademeister-Pfeiferl und einem Paar Gummischlapfen als Waffen, das ist wahre Brutalität.

Das Ensemble in seinen weißen Kurbetrieb-Kostümen darf deftig rangehen: „Die Unbesorgten“ und die „Kurgäste aller Art“ werden verschmolzen zu einem Text rhythmisch skandierenden und auch ur-witzig singenden Antiken-Chor. Der Ungar Tamás Matkó hat die Musik geschrieben für die Aufführung, die so einen besseren Fluss bekommt, als man dem Text selbst zutrauen würde.

In der Probebühne-Situation der Ebene zwei im Grazer Schauspielhaus erzielt man viel Aura. Wenn der Bademeister, der ob der Firmenübernahme in den Untergrund geht und das Bad flutet, macht man den Raum ganz eng (ein Teil des Zuschauer-Podiums wird verschoben, in einer nicht unwitzigen Notfall-Evakuierungsmaßnahme). Im bodennahen Bühnennebel scheinen die Protagonisten, die sich an ihre Plastikliegen klammern wie an Holzbalken nach einem Schiffsunglück, wirklich zu ertrinken.

Gedankt wird dem Bademeister sein Engagement für die alten Werte überhaupt nicht. Gerade hat er noch einen saftigen Spruch geschwungen für die Thermen als Sanitätsanstalten für den Geist – „kein öffentliches, ein Diskurs-Bad!“ – , da machen sich die anderen schon wie die Kannibalen über ihn her: „Das hier war bloß ein Fisch / wir sind sein Wasser nicht / Wir sind uns selbst Wasser genug“, skandiert der Chor.

Aufführungen bis 23. Juni – http://www.schauspielhaus-graz.com/play-detail/der-thermale-widerstand
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma