Dr. Gurnemanz und Dr. Klingsor

REST DER WELT / WIEN / PARSIFAL

10/04/17 Nein, es steht weder die früher beliebte „Schwarzwaldklinik“ noch irgendeine neue Ärzte-Soap auf dem Programm, sondern Richard Wagners „Parsifal“. Alvis Hermanis hat das Bühnenweihfestspiel in ein Spital verlegt. Nicht in irgendeines, sondern – wir sind ja in Wien – ins Otto Wagner-Spital auf der Baumgartner Höhe.

Oliver Schneider

Es ist jene Heil- und Pflegeanstalt, die der Wiener Jugendstilarchitekt Otto Wagner maßgeblich mitgeplant hat. Vor allem die „Kirche am Steinhof“ zählt ja zu seinen Meisterwerken. Der lettische Regisseur und Bühnenbildner sammelte in erster Linie für den ersten Aufzug Ideen in der Kirche. Der zweite und dritte Aufzug erinnern in ihrer Ästhetik mehr an Otto Wagners Stadtbahn-Gebäude. Hermanis will poetische Bilder erzeugen und kein intellektuelles Konstrukt entwerfen, wie er im Programmheft sagt. Das ist zumindest alles schön anzusehen. Und dass man Wagners Werke in die Zeit der vorletzten Jahrhundertwende verlegt, ist nichts Neues. Nur: Geht die Idee hier auf?

Gurnemanz und Klingsor sind Ärzte der Psychiatrischen Klinik. Ihre „Heilungs“-Methoden unterscheiden sich. Während Kundry von Dr. Gurnemanz im vergitterten Bett wie ein Tier gehalten wird, versucht es Dr. Klingsor über die Chaiselongue, nachdem er zuvor pathologisch ein Gehirn seziert hat. Freud lässt grüßen. Überhaupt spielt das Gehirn eine zentrale Rolle, mal kleiner mal größer dimensioniert. Denn das Gehirn ist der heilige Gral, das in den Karfreitagsszenen unter einer vergoldeten Kuppel liegend verehrt wird.

Gänzlich ohne Erotik versuchen die Blumenmädchen als Jugendstil-Damen (Kostüme: Kristīne Jurjāne) den reinen Tor Parsifal für die Lehren von Dr. Klingsor zu gewinnen. Warum braucht er aber überhaupt einen Psychiater? Den verletzenden und heilenden Speer zieht er ganz ohne Widerstand Klingsors aus dem im zweiten Aufzug bereits mehrere Köpfe großen Gehirn. Im dritten Aufzug kehrt er dann in goldener Rüstung auf Gurnemanz Abteilung zurück, wo er zum Schluss die siechenden Gralsritter als neuer Primarius – vielleicht – heilt.

Bei allem Respekt vor der Arbeit bleibt der Eindruck, dass man schon schlüssigere Deutungen gesehen hat. Vor allem solche, die sich mit dem religionsphilosophischen Hintergrund, dem zeithistorischen Kontext und der Aufführungsgeschichte auseinandergesetzt haben. Hermanis blendet dies alles aus und verharrt zudem in der Personenführung mehrheitlich im Konventionellen.

Zum Glück können die Protagonisten und das in tadelloser Verfassung spielende Staatsopernorchester unter der Leitung von Semyon Bychkov musikalisch vieles kompensieren. Allen voran ist Kwangchul Yuon zu nennen, der sich, kurzfristig eingesprungen, mit René Pape die erste Serie dieses neuen „Parsifals“ als Gurnemanz teilt. Ihm merkt man die Rollen- und Bayreuth-Erfahrung in jedem Moment an. Mit seinem gerundeten Bass und seiner ausgezeichneten Diktion ist er immer noch eine Idealbesetzung für die weise Persönlichkeit. Jochen Schmeckenbecher wirkt in der zum medizinischen Gegenspieler stilisierten Rolle des Klingsor trotz seines idealen Timbres etwas zu wenig heldisch. Gerald Finley ist dank seiner vokalen Reife ein großartiger Amfortas, der sich von seinen Leiden gezeichnet noch knapp im ersten Aufzug vom Spitalbett erheben kann, um den Gral zu enthüllen. Drucklos bewältigt er auch die Amfortas-Klagen und liefert mit Yuon die überzeugendste Leistung des Abends. Christopher Ventris ist einmal mehr ein klar artikulierender Parsifal mit gut fokussierter Mittellage. Nina Stemme schließlich reüssiert auch als Kundry und beweist ihr großes Format als Wagner-Interpretin. Leuchtkräftige Höhen, dramatische Kraft, eine gesunde Technik und die Fähigkeit, die verschiedenen Seiten der Kundry zu interpretieren, die Stemme bringt alles mit.

Semyon Bychkov dirigiert den ersten und den dritten Aufzug weihevoll-breit, legt aber auch auf ein durchsichtiges Wagner-Klangbild wert. Der zweite Aufzug hat weniger Spannung als erwartet, steht aber so im Einklang mit der Regie. Neben dem Orchester leisten diverse Ensemblemitglieder in kleinen Partien und die von Martin Schebesta einstudierten Chöre Anteil am musikalischen Gelingen der Aufführung.

Nächste Vorstellungen am 13. und 16. April; dann wieder am 29. März, 1. und 5. April 2018 – www.wiener-staatsoper.atHörfunkübertragung am Samstag, 15. April 2017, ab 19.30 Uhr in Ö1
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn