Die Welt, eine Heimat für Herren und Sklaven

REST DER WELT / GRAZ / DER AUFTRAG: DANTONS TOD

10/03/17 „Unsere Firma steht nicht mehr im Handelsregister“, sagt Debuisson mit drastischer Geste, auf dass auch seinen „Geschäftspartnern“ die Augen aufgehen: „Der Auftrag“ in Sachen exportierter Revolution ist obsolet.

Von von Reinhard Kriechbaum

Im Mutterland hat sich Napoleon aufgeschwungen zum Alleinherrscher, und die „schwarze“ Revolution am karibischen Rand-Schauplatz, in Jamaika, ist nun auch zum Scheitern verurteilt. Eine solche wäre, laut Auftrag, anzuzetteln gewesen – von Leuten, denen man besser nicht über den Weg traute. Aber es bestätigt sich, was die Pseudo-Revolutionäre zumindest schon zwischendurch mal ahnten: „Immer bleiben die Engel aus am Ende.“

Der Auftrag im Grazer Schauspielhaus war, Georg Büchners „Dantons Tod“ zu kreuzen mit Heiner Müllers Drama „Der Auftrag“. Regisseur Jan-Christoph Gockel setzte das forsch und von Beginn an auf hohem emotionalem Pegel um. Da steht die kleine Guillotine links vorne auf der Bühne bereit, und mit einer gewissen Würde, wenn auch mit leisen Seufzern stakst die Marionette Danton herein, um gleich mal den Kopf einzubüßen. Der zweite Puppenführer, der „Regisseur“ hat einen Kassettenrecorder dabei, Volkes Stimme dröhnt lautstark zur Szene.

Die Büchner-Bezüge liegen nahe, stehen als Theater im Theater auch schon in „Der „Auftrag“. Textlich ist so gut wie der ganze Heiner Müller stehen geblieben, dazu kommen viele Büchner'sche Einsprengsel im Puppenspiel. Büchner lässt Danton ja einmal sagen, die Revolutionäre seien „Puppen, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen“. Das nimmt man in Graz beim Wort.

Marionettentheater also auf dem Thespiskarren. Der wird gezogen von einem SUV, und so bricht man auf: „Unser Kulturauftrag: die Demokratie zu bringen.“ Nach Peru eigentlich, aber es wird Jamaika. Ratlose Blicke in die Straßenkarten. Zu den missionseifrigen Revolutions-Importeuren, dem Chef de partie Debuisson mit seinen Handlangern Galloudec und Sasportas, kommen noch die zwei Puppenspieler, „unser Import vom Goethe-Institut“.

Jan-Christoph Gockel war natürlich klar, dass er es ob der Kombination zweier Theatertexte auch mit wahren Fluten papierener Phrasen, mit durchaus im Detail zähflüssiger Philosophie über das Wesen der Revolution zu tun bekommt. Heiner Müllers Text ist seinerseits ein Konglomerat mit nicht un-bizarren allegorischen Szenerien, mit Ausflügen gleichnishaften Charakters (etwa die Fahrstuhl-Szene, in der es dem Mann nicht gelingt, zum Chef vorzudringen).

Das will erst mal umgesetzt sein. Also mutig hinein in die handfest ausgetragen Techtelmechtel zwischen den selbsternannten Karibik-Revolutionären, in die Theatermaschinerie und Videoeffekte, und – ja schon auch – in die vordergründige Lautstärke.

Debuisson ist überraschenderweise als Hosenrolle angelegt: Julia Gräfner, die Energie in schierer Wucht einbringt und dabei mit brillanter Sprechkultur aufwartet, wird zum Nukleus dieser Aufführung, in einem Ensemble einprägsamer Typen. Florian Köhler ist der draufgängerische Galloudec – einer, der sich nur schwer einkriegen kann, wenn ihm etwas wider die Natur geht. Hintersinnig gibt sich Komi Mizrajim Togbonou als Sasportas: der ruhig reflektierende Edel-Schwarze, der die Schwachpunkte revolutionären Übereifers benennt. Der Engel der Verzweiflung (Evamaria Salcher) entledigt sich seiner überdimensionalen Flügel, wenn er auf der Auto-Rückbank den Revolutionär Debuisson an die Brust nimmt, der dort wie ein Säugling ruht. Aufs Effekthascherische versteht sich der Regisseur gut, überträgt solche Szenen dann auch noch in Großbildprojektion. Viel Popmusik, auch die trägt zum saftig-prallen revueartigen Gesamteindruck bei.

Und dann also der fatale Brief aus der Heimat, das Aus für die Polit-Mission, die Rückverwandlung der Revolutionäre in die alten Menschen- und Schurken-Muster. Das ist die letzte Herausforderung zur Text- und Phrasenbändigung, und da darf Julia Gräfner nochmal mächtig aufdrehen. Debuisson, der Meister von vierhundert Sklaven (das Wort Neger war damals, 1980, noch nicht verpönt): Keine Frage, „die Welt wird was sie war, eine Heimat für Herren und Sklaven“.

Aufführungen bis 29. April – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Lupi Spuma