Auf der Harley durch die Lüfte

REST DER WELT / MÜNCHEN / MEFISTOFELE

03/11/15 Roland Schwab inszeniert die Erstaufführung von Arrigo Boitos „Mefistofele“ an der Bayerischen Staatsoper. Barenboim-Schüler Omer Meir Wellber leitet seine erste Neuproduktion im Nationaltheater.

Von Oliver Schneider

Anders als Berlioz und Gounod, die sich auf Liebesgeschichte von Faust und Margarethe konzentrierten, verarbeitete Boito zentrale Szenen aus beiden Faust-Teilen – ergänzt um eigene Textpassagen ergänzt.

Fausts Seelenverkauf an Mephisto, das Gretchen-Drama, die Walpurgisnacht und der Ausflug in die Antike spielen sich auf der Bühne von Piero Vinciguerra in einem schwarzen Tunnelrohbau ab. Vielleicht war dies einmal ein Gottesreich? Kaputte Musikinstrumente deuten es im Prolog zumindest an, wenn Mefistofele seine Wette mit Gott abschließt. Jetzt herrscht der Satan über das herumlungernde weibliche und männliche Personal. Der Chorus Mysticus ist – wie von Boito gewünscht – hinter der Bühne platziert. Die himmlischen Trompeten im Preludio erklingen scheppernd aus einem altmodischen Grammophon am Bühnenrand. Die Schallplatte hat Mefistofele auf dem Boden gefunden.

Dass das Böse in uns allen stärker als das Gute ist und dadurch die Welt beherrscht, zeigt Roland Schwab, indem er mit der Kamera das Publikum filmen lässt. Mefistofele und die Seinen ergötzen sich an einem Video von Lea Heutelbeck über den „Elften September“. Der Osterspaziergang wird in Kostümen von Renée Listerdal auf die Theresienwiese verlegt. Auch da ist nicht alles nur schön und nett: Schwab erinnert an das 35 Jahre zurückliegende Oktoberfest-Attentat.

Dass Mefistofele der böse Herr dieser Welt ist, will man René Pape nicht so recht abnehmen. Er hat die Partie bereits an anderen großen Häusern verkörpert. Pape zeichnet den Teufel als einen Stellvertreter eines Durchschnittsbürgers. Boitos Satan hätte mehr Facetten: Er ist der Narr an der Pforte zum Himmel, der Respekt einflößende fremde Bruder zu Ostern. Er ist ein Nihilist, aber auch der fröhlich Feiernde in der Walpurgisnacht. Stimmlich bleibt Pape der Partie hingegen nichts schuldig und punktet mit seinem ausdrucksstarken Bass.

Nachdem Mefistofele mit Faust den verhängnisvollen Pakt über den Verkauf der Seele geschlossen hat, fliegen sie gemeinsam mit der Harley über New York (starkes Video!), um schließlich bei der reinen Margherita zu landen. Kristine Opolais irritiert vor allem im zweiten Akt mit schneidenden Schärfen. In der Kerkerszene kontrolliert sie die Stimme stärker und scheint sich auch wohler zu fühlen, weil sie ihre darstellerische Persönlichkeit besser einbringen kann - auch im einzigen Liebesduett der Oper.

Joseph Calleja als Faust wirkt neben ihr ein wenig steif, gefällt dafür stimmlich mit strömenden Kantilenen umso mehr. Die verlässliche Heike Grötzinger als Marta, der alle Mittel recht sind, um bei Mefistofele zu landen, wird in der Walpurgisnacht zu einer regelrechten Proserpina. Und auf dem Brocken tanzt sich die Partygesellschaft beim wöchentlichen Wochenend-Wahnsinn so richtig in Ekstase. Faust vergewaltigt Margherita, den Fötus steckt Mefistofele in siedend heißes Wasser. Angebunden muss Faust dies ertragen und verfällt dem Wahnsinn. Pause. Den verlorenen Kampf um die Seele Fausts deutet der Regisseur zum Schluss mit dem Zerbrechen der Schallplatte durch Mefistofele an. Insgesamt ist Schwab eine spannende, stellenweise grelle, aber stimmige Umsetzung gelungen.

Vom Chor und dem Kinderchor der Bayerischen Staatsoper ist ein großer eindringlicher Gesang zu vernehmen. Omer Meir Wellber führt das Bayerische Staatsorchester mit impulsivem Schwung und Kraft durch die Partitur. In der Kerkerszene etwa arbeitet er fein die stimmungsvollen Farben heraus. In der Walpurgisnacht zündet er mit dem Orchester ein regelrechtes, musikalisches Feuerwerk

Weitere Vorstellungen am 6., 10. und 15. November. Dann wieder am 21. und 24. Juli 2016. Die Vorstellung am 15. November wird auf www.staatsoper.de/tv übertragen – www.staatsoper.de