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Luzern/Salzburg und … Luzern

LUCERNE FESTIVAL

18/09/15 Hat man nach einem langen Festspiel-(Konzert-)Sommer noch immer nicht genug von den als Weltklasse gehandelten Orchestern, bleibt einem im September neben dem mittlerweile fix etablierten Grafenegg das große Schweizer Traditionsfestival: Luzern.

Von Oliver Schneider

Von Mitte August bis Ende September bot Intendant Michael Haefliger heuer rund 130 Veranstaltungen am Vierwaldstätter See. Noch vornehmlich Konzerte, aber die viel diskutierte „Salle Modulable“ für Musiktheater ist mittlerweile wieder in greifbarere Nähe gekommen. Während das von Claudio Abbado gegründete Festival Orchestra bereits Mitte August seine Konzerte unter den Interims-Dirigenten Bernard Haitink und Andris Nelsons absolviert hatte, saßen anschließend die reisenden Sinfonieorchester auf dem Podium und brachten mehr oder weniger Passendes zum Festspielthema Humor zu Gehör. Oder sie spielten das, was sie auch für Salzburg, Grafenegg, Berlin, die Proms oder sonst einen Veranstalter einstudiert hatten.

Zum Beispiel die Staatskapelle Dresen unter ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann. Sie brillierte im zweiten Konzert ihres Gastspiels vor allem mit Bruckners Sechster. Thielemann führte die Musiker zügig und schlank durch den ersten Satz und nahm ihm damit jede Schwere, während er die übrigen drei Sätze gemäßigten Schrittes und auf Spannungsaufbau bedacht durchmaß. Das war großartig in der Wirkung mit einem an allen Pulten perfekt musizierenden Orchester. Bei Beethovens Drittem Klavierkonzert hinterließ vor allem das introvertiert-verträumte Spiel Yefim Bronfmans im Largo, in dem er ganz im Einklang mit dem Orchester die Musik fast still stehen ließ, einen bleibenden Eindruck.

Beethoven hatte auch das San Francisco Symphony Orchestra unter Michael Tilson Thomas aufs Programm gesetzt. Ein Orchester, das zwar nicht zu den „Big Five“ gehört, das aber aufgrund seiner hohen Klangkultur in der oberen Liga mitspielt. Allerdings nicht gerade mit Beethovens Eroica, die das Orchester mit 60 Streichern gediegen exekutierte, der aber alles Aufwühlende und Existenzielle abging. Interessant war das Programm vor allem wegen seiner Querverbindungen. Sorgfältig einstudiert waren Arnold Schönbergs Thema und Variationen op. 43b, dem die Schweizer Erstaufführung von John Adams „Absolute Jest“ für Streichquartett und Orchester folgte. Das als Auftragswerk für das San Francisco Symphony Orchestra entstandene Werk baut Fragmente aus Beethovens unter anderem späten Streichquartetten in Adams eigene, von der Minimal Music geprägte Klangsprache ein. Das war trotz mit der Zeit aufkommendem Ermüdungseffekt spannend, weil Neuland beschritten und es das kanadische St. Lawrence String Quartet zu bewundern galt, das die hohen technischen Anforderungen der Komposition mühelos meisterte. Schade, war das Konzert nur mäßig besucht. Lag es an Adams und Schönberg – Thema und Variationen sind ja nicht einmal atonal? Oder litt auch das zumindest im September vornehmlich Schweizer Festspielpublikum an Übersättigung? Über alle Veranstaltungen lag die Auslastung heuer bei 90 Prozent.

Selbstverständlich waren auch die ganz Großen in Luzern: das Boston Symphony Orchestra, die Berliner, das Concertgebouw Orkest und einige andere mehr. Zum Abschluss kamen die Wiener Philharmoniker. Am letzten Festspieltag spielten sie unter Sir Simon Rattle Edward Elgars Oratorium „The Dream of Gerontius“, erprobt vor einigen Jahren in einem Wiener Abonnementskonzert und nun wohl vor allem für die Proms im Gepäck. Am Tag zuvor war Semyon Bychkov aufs Podium gestiegen. Brahms Dritte hatte man bereits in Salzburg gehört, die in Luzern dank der hervorragenden Akustik noch ein bisschen klarer schien. Hervorragend waren vor allem Richard Wagners Wesendonck-Lieder mit der deutlich artikulierenden Elisabeth Kulman. Warum man wohl vorher Joseph Haydns Trauersinfonie aufs Programm gesetzt hatte? Man fühlte sich leider in die Zeiten zurückversetzt, als despektierlich von Papa Haydn gesprochen wurde. Und trotz Samstagabend blieben auch in diesem Konzert viele Plätze frei. Vielleicht war das Programm sogar für die Luzerner zu beliebig.

Anders als bei den Salzburger Festspielen steht die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts mit im Zentrum des Programms. Nicht zuletzt dank der Lucerne Festival Academy, die heuer wieder 120 Studentinnen und Studenten zwischen 18 und 32 die Möglichkeit bot, sich diese Musik mit Pablo Heras-Casado und Matthias Pintscher zu erarbeiten. Pintscher wird ab nächstem Jahr dem neuen künstlerischen Leiter Wolfgang Rihm als Principal Conductor zur Seite stehen. Die richtige Wahl wird wohl die Weiterentwicklung auf dem Fundament von Pierre Boulez‘ Aufbauarbeit gewährleisten. Im ausverkauften Abschlusskonzert der Festival Academy wusste Heras-Casado das für Amériques von Edgar Varèse geforderte Mammutorchester beim in Klänge gesetzten, nie ruhenden New York perfekt im Zaum zu halten. Isabelle Faust hatte im ersten Programmteil Karol Szymanowskis Erstes Violinkonzert mit warmem Klang vorher zu einer bejubelten späten Luzerner Erstaufführung verholfen.

Auch wenn in Salzburg der Schwerpunkt auf dem Musiktheater liegt, rein veranstaltungsmässig ist der Konzertteil grösser. Gerade deshalb wäre es wichtig, die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken, die Jugend hier mehr einzubinden und auch offen zu sein für neue Konzertformen. Luzern macht es vor. Warum bindet man nicht das Attersee Institute Orchestra richtig in die Festspiele ein? Warum verzichtet man auf composer-in-residence? Und warum probiert man nicht mal neue Konzertformate aus, um ein anderes Publikum zu den Festspielen zu locken? In Luzern gab es zehnmal am frühen Abend 40minütige Gratiskonzerte, bei denen jeder Platz besetzt war. Eine Alternative wären Lunchkonzerte, zu denen auch Salzburger in der Mittagspause vielleicht kommen würden.

In Zukunft könnte schließlich auch das Festival Orchestra unter seinem neuen Chef Riccardo Chailly ein interessantes Gastorchester sein, zum Beispiel im nächsten Jahr mit Mahlers Achter. Das Lucerne Festival wird damit 2016 eröffnet, just einen Tag vor dem wichtigen Feiertagswochenende, an dem man in Salzburg unter Riccardo Muti die Wiener Philharmoniker erleben können wird. Auf wen werden die internationalen Augen wohl nächstes Jahr gerichtet sein?

Lucerne Festival Piano - 21. bis 29. November, u. a. mit  Angelika Hewitt, Radu Lupu, Maurizio Pollini, Lisa de la Salle, András Schiff und Jean-Yves Thibaudet - www.lucernefestival.ch 
Bilder: Lucerne Festival / Priska Ketterer (4); Matthias Kreutziger (1)

 

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