Treffpunkt Rezeption im Bürohaus

REST DER WELT / MÜNCHEN / PELLÉAS ET MÉLISANDE

01/07/15 Es war wie so häufig am Sonntagabend in München und andernorts: Jubel – wenn auch für Münchner Verhältnisse kurzer – für die Protagonisten sowie das Orchester und mehrheitlich Ablehnung für das Regieteam.

Von Oliver Schneider

Die Münchner Opernfestspiele wurden mit Claude Debussys einziger Oper „Pelléas et Mélisande“ im Prinzregententheater eröffnet. Christiane Pohle und ihr Team (Bühne: Marie-Alice Bahra, Kostüme: Sara Kittelmann, Licht: Benedikt Zehm) verorten Maurice Maeterlincks, von Debussy vertontes Drama um die verbotene Liebe auf Kosten des älteren Mannes in einem modernen, gesichtslosen und kühlen Bürohaus. Im Empfangsstock mit einer Rezeption, welche die halbe Bühne verstellt. Links über einem Abgrund schwebt außerdem eine graue Box als zweite Spielfläche. Die wenigen Protagonisten werden um Statisten ergänzt.

Gut gewählt ist dieser Spielort, denn in einem großen Bürohaus herrscht Distanz zwischen den Menschen, so wie in Debussys Oper. Was Christiane Pohles Arbeit auch zugute zu halten ist, ist ihr Bemühen, naturalistische Darstellungen und Verdopplungen möglichst zu vermeiden. Damit hält sie sich an die Forderungen des symbolistischen Theaters. Stattdessen konfrontiert sie den Zuschauer aber mit eigenen Bildern und Symbolen, die nicht wirklich mehr Licht in das Nacht- und Seelendrama bringen, in dem die Protagonisten wie Blinde umherirren.

Wenn Golaud die gesamte erste Begegnung mit Mélisande nur am Tresen herumsteht, während Mélisande den blattlosen Sträuchern in Kübeln je ein blühendes Zweiglein einsteckt, ist das, bei aller Deutungsmöglichkeit, vor allem spannungslos. Am fragwürdigsten ist der fünfte Akt. Golaud, Arkel und die aus Kummer hinscheidende Mélisande sitzen flankiert von Statisten, die ihre Stühle und Sessel zum Teil mitbringen, am Bühnenrand aufgereiht und blicken ins Publikum. Manchmal wechseln sie den Platz. Warum bloß? Eigentlich verweigert die Regisseurin hier jede Deutung und schafft Bilder, die man zu allem Ärger andernorts auch schon gesehen hat. Will Pohle ja nicht in die Naturalismus-Falle geraten? Darin tappt sie prompt in der Brunnenszene, in der Mélisande mit sparsamen, aber musikalischen Gesten andeutet, was hier passiert.

Gerade die Bewegungen der Protagonisten und Statisten im Geist der Musik – fast möchte man von Choreographie sprechen – sind ein Pluspunkt der Inszenierung und entschädigen für anderes. Und vielleicht geben sie auch dem einen oder anderen Zuschauer, der das Werk noch nie gesehen hat, gewisse Anhaltspunkte, worum es eigentlich geht. Ohne Programmheft würde dieser Zuschauer ansonsten knapp drei Stunden im Dunkeln herumtappen.

Im vierten Akt wird das Bürohaus zur Baustelle; Metallpfeiler stützen die Decken ab. Als Symbol für den tragischen Tristan-Schluss, eingeläutet durch Golauds Eifersuchtsmord an Pelléas. Nun ja.

Von ganz anderem Kaliber sind die musikalischen Leistungen des Abends. Unter der Leitung von Constantinos Carydis öffnet das Bayerische Staatsorchester den Sängern durchsichtig schimmernde Klangräume, in denen Angst, Beklommenheit und Bedrohung spürbar sind und in denen Debussys musikalische Wurzeln sehr gut hervortreten. Als Meister im Aufbau von dramatischer Spannung zeigt sich Carydis im dritten Akt, wenn Golaud seinen Sohn Yniold (ausgezeichnet Hanno Eilers vom Tölzer Knabenchor) zwingt, ins Zimmer seiner Mutter – die graue Kammer! – zu schauen und ihm zu berichten, was zwischen ihr und Pelléas passiert.

Obwohl keiner der Protagonisten französischer Muttersprache ist, verfügen alle über eine erfreulich gute Diktion. Elena Tsallagovas glockiger Sopran erweist sich als ideal für die Partie der Mélisande. Markus Eiche zeichnet Golaud zwar als von Eifersucht getriebenen Neurotiker, der aber in seinem Inneren sehr wohl einen guten Kern besitzt. Sein expressiver und durchschlagskräftiger Bariton bildet ein schönes Pendant zu Elliot Madores (Pelléas) lyrischerem und warmstimmigeren Bariton. Mit Okka von der Damerau gibt in München eine ausgesprochen junge Sängerin, deren Karriere immer mehr in Fahrt kommt, die Mutter Geneviève. Altersmässig ist König Arkel schließlich mit Alastair Miles traditionell besetzt. Er überzeugt mit kantabler und immer noch bruchlos geführter Stimme.

Nach dem zwiespältigen Start der Festspiele kann es (in regiemäßiger Hinsicht) nur noch besser werden. Am 6. Juli steht mit Arabella unter der Leitung von Philippe Jordan und in der Regie von Andreas Dresen die zweite große Premiere an, dann im Nationaltheater.

Weitere Vorstellungen von „Pelléas et Mélisande“ am 1., 4. und 7. Juli – www.staatsoper.de