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Orfeo in der Flower-Power-Zeit

REST DER WELT / MÜNCHEN / L'ORFEO

22/07/14 Die Münchner Opernfestspiele bieten mit David Böschs Deutung von Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ einen frühen Höhepunkt im heurigen Festspiel-(hoch)-sommer. Am Pult steht, wie bereits vor dreizehn Jahren am selben Ort Ivor Bolton.

Von Oliver Schneider

Von der Anlage her erinnert David Böschs Inszenierung, die am Sonntagabend (20.7.) im Münchner Prinzregententheater Premiere hatte, an jene von Claus Gut vor gut zweieinhalb Jahren im Theater an der Wien. War es dort der Bildungsbürger Orfeo, der die jüngere Euridice an einer Feier im antiken Stil heiratete, so ist es bei David Bösch ein Kind der Hippie-Bewegung, das am 20. Juli 1974 Euridice in einem modernen Arkadien ehelicht. Dort das Haus eines an Literatur Interessierten, hier ein durch vom Schnürboden herabhängende Sommerblumen angedeutetes Arkadien, in welches die Hochzeitsgesellschaft mit einem VW-Bus reist (Bühne: Patrick Bannwart).

Es wird getanzt und gesungen, wobei die Sänger mehr an die gute alte „Hitparade“ als an Woodstock erinnern. Bis die Botin den plötzlichen Tod der jungen Gattin verkündet. In Guths Orfeo löste die Hiobsbotschaft einen psychologischen Albtraum aus, dem der Zurückgebliebene mit Tabletten und Alkohol ein Ende setzte.

Böschs Orfeo ist hingegen ein selbstsicherer, erfolgreicher Künstler ohne Selbstzweifel, der voller Tatendrang seine Euridice aus der Unterwelt retten will. Dabei ist selbstverständlich auch Böschs Unterwelt nur eine Traumwelt, die sich Orfeo – vielleicht nach Drogen- oder Alkoholkonsum – ersinnt. Statt Blumen hängen nun Bilder toter Frauen als Symbol für die Tote herunter. Der Fährmann Caronte wacht am Acheron, dass niemand Unbefugtes zu den Toten vorstösst, und wird von drei Toten, die wie Hunde auf dem Boden herumspringen, begleitet. Wie flehend bittet Christian Gerhaher als Orfeo mit Lied-geschulter Stimme um eine Überfahrt ins Totenreich. Das muss auch das kälteste Herz erweichen. Aber auch sonst ist der Orfeo für Gerhaher eine Idealpartie, weil ihm eine so breite Palette an stimmlichen Ausdrucksnuancen zur Verfügung steht.

Auch der Herr der Unterwelt, Plutone (Andrew Harris mit gewichtigem und gleichwohl beweglichem Bass), lässt sich von seiner bestimmt auftretenden Gattin Proserpina im mit Lichtchen durchsetzten schwarzen Mantel (großartig Anna Bonitatibus) erweichen, Orfeo und Euridice die bekannte Chance zu geben. Die vier Geister, die bei Bösch vier am Stock gehende Greise sind, dürfen die frohe Botschaft im Totenreich verkünden und wagen sogar vor Freude ein Tänzchen.

Orfeo scheitert selbstverständlich auch bei Bösch an seiner (nachvollziehbaren) menschlichen Schwäche und kehrt zurück in die Realität der siebziger Jahre. Euridices Grab befindet sich neben dem VW-Bus im ehemals arkadischen Blumenreich. Zurückgeblieben von der reichen, heiteren Natur ist eine einzige Blume, die ihre letzten Blätter verliert. Apollos Angebot – ein Aussteiger, der mit Mauro Peter luxuriös besetzt ist –, mit ihm einen Neuanfang zu wagen, schlägt Orfeo aus und schneidet sich die Pulsadern auf. Zurückbleibt die Hochzeitsgesellschaft, die sich an der unsterblichen Musik Orfeos erfreut.

David Böschs Deutung mag weniger psychologisch durchdrungen sein wie jene von Claus Guth, an Schlüssigkeit steht sie der letzteren nicht nach. Die knapp 110, pausenlosen Minuten vergehen wie im Fluge, auch dank einiger dosiert eingesetzter Slapstick-Einlagen. Bis auf wenige, im Premierenapplaus untergehende Stimmen stieß diese Neuproduktion an der Premiere auf breite Zustimmung. Der Jubel galt neben dem Regieteam allen Protagonisten, der von Tim Brown einstudierten Zürcher Sing-Akademie und den Musikern.

Am Pult steht, wie bereits beim letzten Monteverdi-Zyklus der Bayerischen Staatsoper und 2011 im Theater an der Wien, Ivor Bolton, der das aus Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters und dem Monteverdi-Continuo-Ensemble bestehende Orchester feinfühlig durch die reiche Partitur führt und den Solisten eine sichere Hand bietet. Eine festspielwürdige Leistung, die durch das ausgezeichnete Solistenensemble abgerundet wird. Neben Gerhaher, Bonitatibus, Harris und Peter sei noch die gut fokussierte Angela Brower erwähnt, die die allegorischen Verkörperungen von Hoffnung und Musik in sich vereinigt. Falko Herold (Kostüme und Video) hat aus ihr eine die Blumen bestäubende Biene gemacht.

Weitere Vorstellungen am 25., 27. und 30. Juli. Die Vorstellung am 27. Juli wird ab 18.00 Uhr im Rahmen von Staatsoper.TV live und kostenlos auf der Website der Bayerischen Staatsoper übertragen, www.staatsoper.de/tv. Die Produktion wird im nächsten Festspielsommer wieder aufgenommen – www.bayerische.staatsoper.de

 

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