Glanz, Glamour und der tiefe Fall

REST DER WELT / VENEDIG / THE RAKE`S PROGRESS

09/07/14 Der Bezug zu Venedig kann ein intensiverer kaum sein: Uraufführung der Strawinski-Oper 1951 im Teatro La Fenice; Grab des Komponisten, der 1971 in New York verstarb und auf eigenen Wunsch nach Venedig überführt wurde, auf der Friedhofinsel San Michele; Jungstar-Regisseur Damiano Michieletto, ein echter Venzianer.

Von Wolfgang Stern

Es ist Neoklassizismus pur, was man zur Zeit im ehrwürdigen Theater „La Fenice“ zu Gehör bekommt. Igor Strawinski ließ sich zu diesem Stoff („Der Werdegang oder Lebenslauf eines Wüstlings“) von einer Kupferstichserie des englischen Malers William Hogarth inspirieren, die von Tom Rockwell erzählt, der sein Geld verspielt, sich als Frauenheld gibt und sich und seine Umwelt in den Abgrund zieht, ehe er in der Psychiatrie landet.

In der Koproduktion mit der Oper Leipzig gelingt dem Salzburg erprobten Regisseur („La Boheme“ 2012, „Falstaff“ 2013, zuletzt bei den Pfingstfestspielen 2014 „La Cenerentola“) eine (auch) zum Nachdenken anregende Umsetzung, in der es viel bei oft grellem Licht zu sehen gibt und die Darsteller nicht nur musikalisch gefordert werden. In überdimensionalen Leuchtschriften führen „Luxuria“, „Invidia“, „Superbia“, „Avaritia“, „Gula“, „Acedia“ und „Ira“ – Lateinkenntnisse sind gefordert! – in verschiedenen Kombinationen durch die drei Akte, ehe sie verlöschen. Viel Glitzer, beginnend beim aus Streifen bestehenden Folienvorhang bis hin zu erotischen glänzenden Dessous, diversen Utensilien und den schon erwähnten vielfarbigen Leuchtschriften, zieht sich durch den Abend, bis schließlich und endlich das Unglück im Dunkel endet. Die Landidylle des ersten Bildes, wo Auto gewaschen, Rasen bewässert und unter dem Sonnenschirm zum Ausruhen verleitet wird, stört der Besuch von Nick Shadow, der bald Tom zum anderen Leben in Disco und Puff in London verführt, wo sich die Gesellschaft (Chor) in einer wilden Orgie auslässt. Bühnenwirksam spielt das alles in einem Schwimmbad – einem Sündenpool – , erst als Vollbad in Goldkonfettis, in der Folge mit aufblasbaren, bunten Tieren, Puppen, Schwimmreifen und Planschbecken, wo geschickt Dialoge passieren, ehe alles im tiefen, schmutzigen leeren Becken mit Müll endet und der Tiefflug vom protzigen Leben in Saus und Braus ins Dilemma führt. Das Dreierteam mit Paolo Fantin (Bühnenbild) und Carla Teti (Kostüme) bewährt sich auch hier. Michieletto setzt auf Bewegung, seine Partner auf Glanz und Farbe. Die Gefahr, dass die Musik ob des Klamauks zur Nebensache wird, ist groß. Doch die Musik ist einfach schön. Strawinski komponierte diese Werk äußerst durchsichtig, Kleinstbesetzungen, oft nur Soli in der Begleitung der Vokalisten, beeindrucken, Rezitative werden in bezaubernder Art eingebracht, Vor- und Zwischenspiele sind oft kokett instrumentiert , der Einsatz barocker und klassischer Elemente ist eine Bereicherung für die Partitur und lässt Parallellen erkennen.

Musikalisch geht der noch etwas im Schatten von Dudamel agierende Musikchef des Fenice, Diego Matheuz, ebenfalls Venezolaner, keine Risken ein, legt klare Tempi vor und verzichtet auf überlautes Musizieren. Das kommt natürlich den Sängern entgegen, die stimmlich ansprechend agieren und vor allem schauspielerisch gefordert sind. Juan Francisco Gatell als Tom Rackewell erfüllt die an ihn gesetzten Erwartungen, ohne in Not zu geraten, und zeigt Durchhaltevermögen. Sein Teufel Nick Shadow (Alex Esposito) punktet mit angenehmem baritonalen Timbre, Carmela Remigio bewältigt den Stimmumfang vom h bis zum c3 als Anne mit Bravour. Automatisch zieht man Parallellen zu Choncita Wurst, wenn die gebürtige Wienerin Natascha Petrinsky als Baba la Turca (Toms Ehefrau) in ähnlichem Outfit auftritt – mit einem engem Kleid, toller Figur und Highheels – natürlich mit Bart. Auch stimmlich kann sie punkten. Trulove (Michael Leibundgut) ist ein gütiger Vater Annes, ein Bass, der keine Schwächen zeigt, aber noch mehr Klanvolumen vertragen könnte. Die Puffmutter Silvia Regazzo als Mother Goose und Marcello Nardis als Sellem ergänzten das Solistenensemble zu einem homogenen Ganzen. Chor und Orchester waren bemüht, besonders die Soli der einzelnen Instrumentalisten gefielen.

www.teatrolafenice.it
Bilder: Teatro la Fenice / Michele Crosera