Der Ariadne-Faden führt nach Niederbayern

REST DER WELT / PASSAU / ARIADNE

22/04/14 Eine veritable Opern-Entdeckung sorgt in Passau für Erstaunen und für einen wahren Premierentriumph. Johann Georg Conradis „Die schöne und getreue Ariadne“ zeigt, wie sehr zu Unrecht die deutsche Barockoper im Schatten des Repertoires gelandet ist. Eine Empfehlung für innovative Spielplangestaltung!

Von Gottfried Franz Kasparek

Conradi, schwäbischer Bayer aus Oettingen, lebte von 1645 bis 1699 und war nach einer zeittypischen Karriere an kleinen Fürstenhöfen ab 1690 für drei Jahre Kapellmeister der Hamburger Oper am Gänsemarkt. In dieser Zeit schrieb er neun Opern. Leider blieb nur von einer, der schönen „Ariadne“, die Partitur erhalten - in der Library of Congress in Washington, wo sie 1970 wieder gefunden wurde. In Boston wurde sie 2005 für das Label cpo eingespielt. Nun wagte sich das kleine Landestheater Niederbayern an eine szenische Produktion, die erste seit der Uraufführung. In Passau gibt es ja auch ein Theater-Schmuckstück aus dem 18. Jahrhundert, welches Hochwasserschäden zum Trotz einen wundersamen Rahmen dafür abgibt.

Weit entfernt von den formalen Korsetten einer Opera Seria oder Buffa ist dieses Stück. Der Komponist und sein kongenialer Librettist, der Niedersachse Christian Heinrich Postel (1659-1705), entdeckten mehr als zwei Jahrhunderte vor Strauss und Hofmannsthal die im Ariadne-Stoff mögliche theatralische Verquickung von Ernst und Heiterkeit. Die bekannte mythische Geschichte von den Töchtern des Kreterkönigs Minos, vom zwischen beiden Schönen schwankenden Theseus, vom besiegten Ungeheuer Minotaurus, vom rettenden Ariadnefaden und der Erlösung Ariadnes durch Gott Bacchus haben Conradi und Postel in ein schlüssiges, spannendes, unterhaltsames Theaterstück verwandelt. Conradi vermischte italienische und französische Einflüsse nicht nur geschickt, sondern mit höchstem Geschmack und verblüffender Theaterpranke. Ein oft parodistisch eingesetzter, mitunter lyrisch berührender deutscher Volkslied-Tonfall regiert in den meist kurzen Arien. Denn der Großteil der meisterlich gearbeiteten Partitur besteht aus quicklebendigen Rezitativen, singspielhaften Ensembleszenen, feinen Duetten und Terzetten sowie mitreißenden Balletteinlagen. Samt Melodien von Schlagerqualität – nicht nur die Handlung lässt an Offenbachs ironische Mythologien denken.

Sieht man einmal ab von der anfangs erschreckenden Video-Überflutung, die gottlob im weiteren Verlauf des vergnüglichen Abends kaum wiederkehrt, ist Jonathan Lunn eine detailverliebte, witzige, pantomimisch zugespitzte Inszenierung der feinsten britischen Art gelungen. Alexandra Burgstaller sorgte für einfache, praktikable und atmosphärische Bühnenbilder und kleidsame Kostüme. Natürlich spielt das Stück in dieser Deutung optisch in einer gegenwärtig ausstaffierten Zeitlosigkeit. Bacchus, zunächst in braver Beamtenverkleidung als Evander und herrlich betulich gesungen und gespielt vom Countertenor Roland Schneider, verwandelt sich am Ende in einen jungen Gott. Die festliche Schlussapotheose wird zum witzigen barocken Kostümstück samt Schönwetter-Wölkchen am Bühnenhimmel. Sogar der martialische Minos, rollendeckend Peter Tilch, tauscht seinen Politikeranzug gegen Bockshörner. Und seine resche Gattin Pasiphaë, belkantesk und dennoch gefährlich Gesche Geier, wandelt sich zur Venus. Wie überhaupt das junge Ensemble des Hauses reüssiert: Mandie de Villiers-Schutte als schmale, metallisch timbrierte und bewegliche Ariadne, Emily Fultz mit weichem Sopran als damenhafte Phädra, die schließlich den immer modisch „cool“ bleibenden Tenor-Theseus Albertus Engelbrecht für sich gewinnt, der frische Tenorino Wolfgang Frisch als Diener Pirithous, der gemeinsam mit dem versierten Operettenkomiker Oscar Imhoff als Messerschleifer Pamphilius zwischendurch die „Moral von der Geschicht“ in herrlich krachledernen Couplets von sichgibt. Nicht zu vergessen die Tanzgruppe (Gareth Mole, Bernadette Leitner, Anja-Carina Maisenbacher), die als köstlich akrobatische Verdreifachung von Evander und Ariadne agiert.

Der Spiritus rector des Abends, Kai Röhrig (einst Kapellmeister am Salzburger Landestheater), hat das Stück für Passau entdeckt und sorgt am Pult der in Schlüsselpositionen mit Barockspezialisten verstärkten, hauseigenen Philharmonie für prachtvolle instrumentale Energie, effektvollen Furor, manchmal geradezu für „Barock n’Roll“, aber auch für poesievolle Inseln nuancierter Klanglichkeit. Die relativ wenigen Striche dienen dem stringenten Ablauf des zweieinhalbstündigen Geschehens. Bühne und Orchester verschmelzen dank Kai Röhrigs mitatmendem, mitschwingendem Dirigat zur Einheit.

Das Niederbayerische Landestheater spielt in Passau, Landshut und Straubing. An allen drei Orten gibt es im April und Mai Aufführungen, die letzte am 30. Mai in Passau. – www.landestheater-niederbayern.de
Bilder: Landestheater Niederbayern / Peter Litvai