Eine Liedertafel für Oslo

REST DER WELT / OSLO / TANNHÄUSER

10/03/10 Nächster Halt: Norwegen. Stefan Herheim macht mit seinem Wagnerzirkus Station an der Norske Opera.

Von Jörn Florian Fuchs

Oslo ist eine Stadt der Entschleunigung. Man läuft nicht gehetzt durch die Straßen, sondern lässt sich etwas mehr Zeit als in vergleichbar großen Metropolen. Das Parlamentsgebäude wirkt von außen recht pittoresk, drinnen jedoch ergänzt eine Vielzahl zeitgenössischer Kunstwerke den erhabenen Lüster-Glanz einer erst gut einhundert Jahre alten Demokratie. Vom Plenarsaal aus sieht man den königlichen Palast – und umgekehrt. Besondere Pflege erfahren die Söhne der Stadt: Dahl, Munch und natürlich Ibsen. Den letzteren kann man sowohl in konventionellem Inszenierungsgewand als auch radikal dekonstruiert sehen, ohne dass dabei Feuilletonschlachten wie in deutschen Landen entstehen. So gehen in Oslo gemächlich und konfliktfrei Altes und Neues quasi Hand in Hand oder Seit an Seit.

Für das moderne, glänzend ausgestattete und sündhaft teure Opernhaus am Hafen hat man jetzt einen noch recht jungen Sohn der Stadt verpflichtet. Und das Premierenpublikum war vollauf begeistert von Stefan Herheims Sicht des „Tannhäuser“, in der er auch seiner Geburtsstadt ein Denkmal setzt. Die Norske Opera, der Dom, der Hauptbahnhof und andere Wahrzeichen Oslos ziehen schon während des Vorspiels auf Videowänden sanft vorüber, dann steigt leichter Nebel herauf und man gerät gerade in beste Wohlfühlstimmung, als es plötzlich flackert, kracht und raucht.

Während das Orchester Wagners prallen Tonsatz mit Kastagnettenklängen und raubeiniger Jantischaren-Rhythmik hochrüstet, entsteht blitzschnell eine Bühnenlandschaft aus ineinander geschachtelten Räumen. Vielleicht zwei Dutzend wirr verkleidete Jungs und Mädchen jagen einen Lindwurm, ein Kirchenfenster taucht auf, ein Königin-der-Nacht-Verschnitt von Schinkels Gnaden gibt sich die Ehre, ein halber Weihnachtsbaum blinkt um die Ecke.

Herheim greift tief in die Zitatenkiste und lässt so ziemlich alles buchstäblich Revue passieren, was er in letzter Zeit so inszeniert hat. Das Zitaten-Theater hat jedoch rasch ein Ende, als sich aus all dem Tohuwabohu eine Opernloge herausschält, in ihr sitzen adrette Gäste, darunter Venus und der von ihr befummelte Tannhäuser. Die Oper selbst wird hier also zum Venusberg und nur mühsam befreit sich der Verführte aus den Fängen. Als es ihm gelingt, mutiert der Zuschauerraum zum Edeletablissement, da Venus ihre anschmiegsamen Mitstreiterinnen ins Publikum schickt, wo sie graumelierten Herren (und einem amtierenden Stuttgarter Opernintendanten) das ein oder andere Pläsierchen bereiten…

Der weitere Verlauf des Abends ist dann nicht ganz so spaßig. Herheim zeichnet mit leichter Hand und dennoch ernsthaft die Zerrissenheit Tannhäusers zwischen Venus – als Synonym für die Dekadenz der Oper, vielleicht auch des ganzen Kulturbetriebs – und der Suche nach reinen unverstellten Gefühlen, Gesten und musikalischen Ausdrucksformen. Das alles findet er zeitweise bei Elisabeth, die erst als harmloses Gutmädel, später als Maria und Schutzmantelmadonna auftritt.

Dass Tannhäusers Sangesgesellen – man trifft sich regelmäßig zur Liedertafel – allesamt Angehörige der Heilsarmee sind, verleiht dem Ganzen einen zusätzlichen Reiz. Es stehen sich nun immer wieder kollektiver Chorgesang und das singende Individuum gegenüber, ganz abgesehen natürlich von den religiösen Konnotationen. Am Ende gibt es unter dem Jubel aller die über-sinnliche Vereinigung des Geläuterten mit der Retterin, während der (Ex?)Konkurrent Wolfram von Eschenbach das Geschehen verzweifelt aufzuhalten versucht.

Dies ist zwar eine reichlich gewagte Volte, aber halten wir Herheim einfach zugute, dass er sich eben auf diese Weise noch eine Weile am Wagnerkosmos abarbeiten muss – und ganz nebenbei auch an der Frage, wie die Ware Oper zur wahren Oper werden kann.

Ein wenig arbeiten muss auch noch Christian Badea, der dem (nicht immer präzisen) Osloer Orchester bisweilen merkwürdig langsame Tempi und Generalpausen verordnete, was das Publikum mehrfach zum Zwischenapplaus animierte. Gary Lehmann stemmte sich recht kraftvoll durch die Titelpartie, Elisabet Strid gab eine höhensichere, ausdrucksstarke Namensvetterin, Geert Smits einen klangschönen Wolfram. Judit Németh wirkte als Venus vokal etwas angestrengt, ausgezeichnet dagegen Magne Fremmerlid als Landgraf und besonders Amelie Aldenheim als Hirtenjunge.

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