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Die zwei Gesichter der Kirche

REST DER WELT / MÜNCHEN / LA FORZA DEL DESTINO

24/12/13 Ein Sängerfest an der Bayerischen Staatsoper mit Anja Harteros, Jonas Kaufmann und Ludovic Tézier. Jubel für die Sänger, einige Buhrufe für den Dirigenten Asher Fisch und gespaltene Reaktionen auf Martin Kušejs Regie.

Von Oliver Schneider

Wie oft bei Giuseppe Verdi, bildet auch in „La forza del destino“ der Konflikt zwischen starren Konventionen sowie Liebe und Menschlichkeit den Ausgangspunkt der tragischen Geschehnisse. Eine Liebe zwischen dem Mulatten Don Alvaro und Donna Leonora di Calatrava, die aus sozialen und politischen Gründen nicht sein darf, ein verhinderter Fluchtversuch, der im Tod des starrsinnigen Vaters Leonora mündet, die Blutrache durch Leonoras Bruder Don Carlo und schließlich eine utopische Versöhnung im Tod. Das Ganze ist garniert mit imposanten Kriegs- und Massenszenen.

Martin Kušej nimmt Leonoras Ambivalenz gegenüber der Institution Kirche als Ausgangspunkt für seine Deutung der „forza“ in der späteren Mailänder Fassung. Nachdem ihr Vater sie kurz vor seinem Tod durch den irrtümlich ausgelösten Schuss Alvaros verdammt hat, flieht Leonora in Männerkleidern und vertraut sich Padre Guardiano an. Als dieser ihr rät, sich in ein Kloster zurückzuziehen, winkt sie erschrocken ab. Sie möchte sich in einer Einsiedelei Gott widmen. Der Institution Kirche misstraut sie, denn diese erinnert sie nur an die verkrusteten Traditionen und Bigotterie in ihrem Elternhaus. Kušej zeigt dies zu Beginn des Abends: Das Kreuz in der Mitte des Tisches, die schweigend in äußerster Gespanntheit essende Familie Calatrava und um den Tisch stehende Bodyguards des Marchese di Calatrava. Christliche Zeichen werden hier als Deckmantel eines auf Konventionen bauenden Machtapparats missbraucht. Dazu erklingt die Ouvertüre. Durch diese Vorgeschichte verknüpft Kušej die nur locker verbundenen Bilder stärker miteinander, so dass Verdis musikalische Querverbindungen ein szenisches Äquivalent erhalten.

Theatralik herrscht im Hause Calatrava und an der Klosterpforte im zweiten Akt, die mehr an ein nüchternes Kirchenverwaltungsgebäude aus den achtziger Jahren erinnert, in dem es um das Erhalten von Macht geht (Bühne: Martin Zehetgruber). Nachdem Padre Guardiano Leonoras Wunsch des Rückzugs akzeptiert hat, muss sich die Arme (bzw. die sie ersetzende Statistin) erst einmal einer Art Ganzkörpertaufe in einem Swimming-Pool unterziehen. Das ist dann doch des Guten zu viel. Akzeptabler ist das plakative Schlussbild der Oper, in dem die unzugänglichen Felsen, zwischen denen sich Leonoras Einsiedelei befindet, durch aufgehäufte weisse Kreuze ersetzt sind.

Da Kušej die Ereignisse aus heutiger Sicht betrachtet, erinnern die Massenszenen in von Bomben zerstörten Häusern an Bilder aus dem Nahen Osten. Hier darf die Kriegstreiberin Preziosilla das Volk aufstacheln, bis es „Schön ist der Krieg! Es lebe der Krieg“ singt, oder mit ihrem „Rataplan“ offen zum Sex auffordern. Nadia Krasteva weiß szenisch als billige Hure in körperbetonter Kleidung (Kostüme: Heidi Hackl) und gesanglich mit variabler Stimme wie bereits in Wien vor fünf Jahren zu überzeugen. Wie David Pountney in Wien, lässt Kušej den Vater Leonoras und Padre Guardiano vom selben Sänger spielen, was wiederum die Parallelen zwischen Kirche und Elternhaus betont. Vitalij Kowaljow wirkt als Marchese noch etwas blass, zeigt dann aber im Verlauf des Abends die nötige Bühnenautorität.

Eine Klasse für sich bildet das Terzett Harteros/Kaufmann/Tézier. Ganz schlicht und beseelt lässt Harteros in ihrem Gebet „Madre, pietosa Vergine“ im zweiten Bild des zweiten Akts alle Farbnuancen aufschimmern. Und wie eindrücklich gestaltet sie in ihrer „Pace“-Arie im Schlussbild mühelos mit perfekt sitzender Stimme die hochexpressiven Momente.

Don Alvaro, bei Kušej ein Hippie mit langen Haaren, ist für Jonas Kaufmann eine weitere Partie, in der er mit seinem cremigen Timbre, dem wunderbaren Piano und seiner Phrasierungskunst Rollenvorgänger vergessen macht. Ein Ereignis ist, wenn er sich in seinem Monolog zu Beginn des dritten Akts zwischen den Trümmern an Leonora erinnert. Kaufmann gestaltet aber auch die strahlkräftigen Attacken im vierten Akt vollkommen mühelos und mit ebenso viel Inbrunst. Wer macht ihm dies heute nach?

Komplettiert wird das Duo durch Ludovic Tézier als Don Carlo. Im Vorspiel noch das kleine, brave Brüderchen, das im zweiten Akt zu einem biederen College-Student wird. Als echter Calatrava verfolgt er aber nur ein Ziel: den Tod des Vaters zu rächen. So zieht er in den Krieg. Stimmlich ist er in erster Linie dramatisch gefordert und überzeugt mit seinem brillant geschmeidigen Bariton. Tézier und Kaufmann schaffen es im dritten Akt, die zwischen ihnen bestehende Spannung auf das Orchester zu übertragen, das am Premierenabend bis zur ersten Pause unter der Leitung von Asher Fisch eher routiniert als ambitioniert klang. Danach gelang es Fisch deutlich besser, Spannungsbögen aufzubauen. Ohne Fehl und Tadel war von Anfang an die Balance zwischen Bühne und Graben, und das Staatsorchester spielte auf dem gewohnt hohen Niveau mit schönen solistischen Einsätzen (Solo-Klarinette im Vorspiel zur Alvaros Szene am Anfang des dritten Akts!).

Neben dem in den Massenszenen leuchtkräftig auftrumpfenden Chor (Einstudierung: Sören Eckhoff) sei schließlich noch der verschlagen polternde Frau Melitone von Roberto Girolami erwähnt, der in seiner Schillers Kapuzinerpredigt nachempfundenen Ansprache an das hungernde Volk im vierten Akt noch einmal die zwei Gesichter der Kirche zeigt.

Weitere Aufführungen bis 11. Jänner und während der Opernfestspiele am 25., 28. und 31. Juli 2014 – www.staatsoper.de

 

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