Das Publikum jubelt, der Regisseur wundert sich

REST DER WELT / MÜNCHEN / FRAU OHNE SCHATTEN

22/11/13 Auf den Tag genau fünfzig  Jahre nach der Wiedereröffnung des Nationaltheaters mit Richard Strauss psychologischer Märchenoper setzte die Bayerische Staatsoper das Werk wieder auf dem Spielplan. Kirill Petrenko gab sein Debüt als neuer Generalmusikdirektor und erfüllte die hohen Erwartungen. Die Inszenierung stammt von Krzysztof Warlikowski.

Von Oliver Schneider

Die Münchner lieben ihre Generalmusikdirektoren. Meist braucht es ein bisschen Zeit, bis die Beziehung richtig warmherzig ist - das war zuletzt auch bei Kent Nagano so. Bei den Opernfestspielen hatte man aber den Eindruck, dass ihn viele Münchner nur widerwillig ziehen lassen. Auf dem „Neuen“ lasteten vor der ersten Saisonpremiere bereits die Vorschusslorbeeren. Vor allem nach dem Bayreuther Debüt im Sommer, wo Kirill Petrenko gezeigt hat, dass Wagners „Ring“ auch im magischen Festspielhaus ganz transparent klingen kann und gleichwohl nichts von seinem Zauber einbüsst. Schon als Petrenko nach der ersten Pause wieder ans Pult trat, jubelte das Münchner und internationale Publikum ihm und dem Bayerischen Staatsorchester zu, was sich bis zum Schlussapplaus weiter steigerte. München hat seinen neuen Generalmusikdirektor vom ersten Moment an ins Herz geschlossen, mehr kann sich der bescheiden auftretende russische Dirigent nicht wünschen.

Petrenko arbeitet mit dem bis auf minimale Intonationstrübungen im dritten Aufzug sicheren Orchester die komplex verflochtenen Leitmotive in Strauss‘ Mischung aus „Zauberflöte“ und „Faust II“ gestochen klar heraus und gibt den Sängerinnen und Sängern dank regelmäßigen Drehens am Dynamikschalter, trotz großer Besetzung, jederzeit die Möglichkeit durchzudringen.

Zuweilen mag man das Rauschhafte vermissen, das Schwelgen in üppigen Klängen, was ein Christian Thielemann so beherrscht. Petrenko hebt es sich für den dritten Aufzug mit seiner Ode an die traute Bürgerlichkeit auf. Vorher lässt er der suggestiven Klangmalerei nur in den sinfonischen Momenten ihren Lauf. Kontrolliert, damit die Balance bestehen bleibt.

Zur Feststimmung trug die ebenso hervorragende Besetzung ihren Teil bei. Johan Botha ist nicht nur akustisch präsenter Kaiser, metallisch auftrumpfend und perfektem Legato, sondern auch szenisch gut von Warlikowski eingebettet. Adrianne Pieczonkas Sopran besitzt alle Farben für die flirrende Obertonwelt der Kaiserin und bewältigt die vertrackten Höhen der Partie mühelos. Selten erlebt man eine Färberin, die in die hochdramatischen Kraftentfaltungen im zweiten Aufzug so unangestrengt auftrumpft: Kommt hinzu, dass man mit Elena Pankratova eine Sängerin erlebt, für die die Rolle auf dem Anstieg einer hochdramatischen Karriere liegt. Sie durfte am Premierenabend auch den stärksten  Einzelapplaus für die Solisten entgegennehmen. Wolfgang Koch liegen die warmen Klangfarben des über weite Strecken gutmütigen Barak bestens.

Einzigartig in ihrer vokalen und Bühnenpräsenz ist Deborah Polaski als Amme, die mit ihrem rechtzeitigen Fachwechsel den richtigen Schritt gewagt hat. Erwähnt sei noch Sebastian Holecek, der das Mögliche aus der kleinen Partie des Geisterboten herausholt. Der von Sören Eckhoff einstudierte, aus dem Off singende Chor und der von Stellario Fagone einstudierte Kinderchor sind, wie immer, sichere Pfeiler in München.

In den Schlussapplaus wurde auch das Regieteam uneingeschränkt einbezogen, was den polnischen Regisseur ein wenig zu verdutzen schien. Zur Einstimmung gab es zu Beginn des Abends Ausschnitte aus dem Anfang der sechziger Jahre in den Münchner Schlössern Nymphenburg und Schleissheim gedrehten Film „L’année dernière à Marienbad“ von Alain Resnai. Eine Frau und ein Mann wandeln in den Fluren, Zimmern und Hallen eines Kurhotels an Tagen und Nächten, träumend und in schönen und schmerzlichen Erinnerungen schwelgend.

Warlikowski und sein Ausstattungsteam (Bühne und Kostüme: Malgorzata Szczesniak, Video: Denis Guéguin) nehmen den Faden auf und verorten die märchenhaft-psychologische Handlung in einem Kurhotel oder Sanatorium à la „Zauberberg“, wo die Kaiserin betreut wird. Barak, seine Brüder und seine Frau hingegen gehören zum Personal. Die Amme figuriert als Ärztin, die ihrer Patientin gleich zu Beginn die erste Beruhigungsspritze setzt. Keikobad geistert von Anfang als gebeugter Greis auf der Bühne herum. Seine märchenhafte Welt zeigen Warlikowski und sein Team plastisch mit Vogelköpfen für den Falken und den Kinderchor, einer Gazelle und Natur andeutenden Lichteffekten. Stimmig integriert sind auch die Videoeinspielungen, vor allem die alles zerstörende Flut am Ende des zweiten Aufzugs, die Mensch und Tier mit sich reißt.

Dem Jubelschluss, bei dem die beiden Paare mit ihren Kindern und vom sichtbaren Chor der Ungeborenen umringt mit einem Glas Champagner anstoßen, misstraut Warlikowski. Ob allerdings Bilder von Batman, King Kong, Gandhi, Sigmund Freud – wohl als ein geistiger Pate des Librettos am ehesten –, Buddha und Marylin Monroe in die richtige Richtung weisen, ist eine andere Frage. Insgesamt darf man mit Warlikowskis Umsetzung zufrieden sein, auch wenn man vieles schon da und dort gesehen hat. Zum Beispiel die Verdopplung der beiden Paare, wenn sich die Kaiserin in die Vergangenheit träumt. Dass ein Abend musikalisch und szenisch bis auf kleinste Details stimmig ist, erlebt man selten.

Die Frau ohne Schatten - weitere Aufführungen bis 7. Dezember - www.staatsoper.de