Die Reiseorchester gratulieren

REST DER WELT / LUCERNE FESTIVAL (1)

16/09/13 Das Schweizer Lucerne Festival feiert heuer seinen 75. Geburtstag, das Festival Orchestra von Claudio Abbado und die Festival Academy ihre zehnjähriges Bestehen. Da sind auch die Gastorchester gefordert. Eindrücke von Konzerten der Orchester aus Dresden, München und Pittsburgh.

Von Oliver Schneider

023Als Folge der politischen Situation in Deutschland und Österreich legte Arturo Toscanini vor 75 Jahren in der Richard Wagner-Villa in Tribschen bei Luzern den Grundstein für das heutige Festival am Vierwaldstättersee. Er dirigierte ein Orchester aus Musikerinnen und Musikern, für die ein Auftritt im von den Nationalsozialisten beherrschten Raum nicht mehr möglich war. Zunächst „Musikfestwochen“ tituliert, ist das „Lucerne Festival“ heute zu einer Premiummarke unter den Festivals geworden. Dreimal im Jahr trifft sich die Crème der klassischen Musikwelt für ein vornehmlich aus der Schweiz, Norditalien und Süddeutschland stammendes Publikum. Wobei das Oster- und das Pianofestival ob ihrer Größe eigentlich nur Appetitmacher für den Sommer sind. Ende September expandiert man heuer noch zusätzlich mit einer mobilen Konzerthalle ins vom Erdbeben getroffene japanische Tohoku.

024Anders als die Verantwortlichen in Salzburg hat Intendant Michael Haefliger erkannt, dass man das Programm und die Festivaldauer nicht beliebig ausdehnen kann. Der Kreis der Interessierten – gerade nach der Urlaubszeit – ist und bleibt beschränkt. Alle Bemühungen um das Gewinnen neuer Publikumsschichten zum Trotz. Er hat das Festival deshalb um eine Woche gekürzt und die Zahl der Veranstaltungen verringert. Erschwerend kommt hinzu, dass das Lucerne Festival vor allem Konzerte bietet, die weniger das kaufkräftige Glamourpublikum anziehen. Szenische Produktionen erfolgen in Koproduktion mit dem Luzerner (Stadt)-Theater. Pläne für einen zusätzlichen Saal für (experimentelles) Musiktheater haben sich wegen Rückzugs des Geldgebers zerschlagen.

022Schon der Finanzen wegen – weniger als drei Prozent der Einnahmen stammen von der öffentlichen Hand – erfordert die Programmgestaltung einen Spagat zwischen Mainstream und Avantgarde, wobei es Haefliger hervorragend gelingt, „neue Musik“ ins Gesamtprogramm zu integrieren. Zugegeben, unter das diesjährige Thema „Revolution“ passt wie immer vieles, von Beethovens Dritter mit dem Festival Orchestra und Claudio Abbado zur Eröffnung bis zu einem konzertanten „Ring“ mit den Bamberger Symphonikern. Aber auch der Artiste étoile Martin Grubinger oder die Komponistin-in-residence Chayna Czernowin.

Publikumsfavoriten unter den zahlreichen Gastorchestern sind die Berliner Philharmoniker, deren Konzerte neben jenen des Festivalorchesters hoffnungslos überbucht sind. Bei den Wiener Philharmonikern ist das nicht mehr so selbstverständlich. Auch bei Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden klafften bei Bruckners Fünfter größere Lücken im Zuschauerraum. Das wäre in Salzburg, Wien oder Bayreuth anders. Hatte man Thielemann mit demselben Werk im August im 025Großen Festspielhaus erlebt, lag der Vergleich in der Luft. Auch mit „seinen“ Dresdnern entwickelt Thielemann die monumentale Architektur des Werks in der Tradition eines Sergiu Celibidache. Glasklar durchleuchtet Thielemann jede Phrase und schichtet mit größter Ruhe Klangtürme in den Steigerungen auf. Ohne Schwere, auch wenn die Staatskapelle einen erdigeren Klang als die Wiener Philharmoniker entwickelt.

Kombiniert hatte die Staatskapelle die Fünfte mit Hanns Eislers „Ernsten Gesängen“, die kurz vor dem Tod des Komponisten 1962 uraufgeführt wurden und ebenso sperrige Bekenntnismusik wie die nachfolgende Sinfonie darstellen. Thomas Hampson gestaltete die sieben kurzen Lieder mit Vorspiel und Spruch für Streichorchester singend und deklamierend mit der für ihn charakteristischen Deutlichkeit und Eindringlichkeit. Am zweiten Abend gab die Staatskapelle einmal mehr ein Wagner-Potpourri mit Johan Botha.

021Mariss Jansons gastierte mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Noch einmal konnte man Mahlers Zweite, sein Seelendrama, mit-durchleben, das Jansons gemeinsam mit den Rundfunkchören aus München und Köln, Genia Kühmeier und Gerhild Romberger zu einer exemplarischen Aufführung brachte. Wo sonst, wenn nicht im Luzerner Konzertsaal, entfalten Ferntrompeten und Fernorchester einen so magischen Klang, ist so glasklares Musizieren in allen Stimmen möglich? Nach konzentrierten 90 Minuten der Ausführenden und des Publikums musste es Standing Ovations geben. Am ersten Abend hatten die Münchner Berlioz' Symphonie fantastique und Beethovens viertes Klavierkonzert mit Mitsuko Uchida im Reisegepäck.

020Nicht in der Liga der beiden deutschen Orchester spielt trotz seiner über hundertjährigen Tradition das Pittsburgh Symphony Orchestra, das auch für zwei Abende nach Luzern gekommen war. Im Mittelpunkt des ersten stand Dvo?áks Violinkonzert, das in Anne-Sophie Mutter eine Idealinterpretin fand. Sie durchmaß den romantischen Klangkosmos mit Verve und technischer Brillanz in den Ecksätzen und dem kontrollierten Gefühlseinsatz einer gereiften Frau im Mittelsatz. Hätte sie nur einen gleichberechtigten Partner im Orchester gehabt, das unter der Leitung seines Chefdirigenten Manfred Honeck in den Ecksätzen Lebhaftigkeit und Volkstümlichkeit mit Grobheit und Hetze verwechselte. Noch eklatanter war dies bei der von Tomáš Ille eingerichteten Suite aus Janá?eks Oper „Jenufa“, die ohnehin leider nicht mehr als ein überflüssiges Potpourri mit unglücklichen Übergängen darstellt. Zum Schluss gab es noch Richard Strauss' „Heldenleben“. Rein auf den Effekt hin exekutiert und viel zu rasch an den dynamischen Grenzen.

Das Lucerne "Festival am Piano" findet von 16. bis 24. November statt, das nächste Oster-Festival von 5. bis 13. April 2014 und das nächstjährige Sommerfestival von 15. August bis 14. September 2014 -www.lucernefestival.ch
Bilder: Lucerne Festival / Priska Ketter (3), Georg Anderhub (3)