Ein Fest der begnadeten Körper

REST DER WELT / GYÖR / TANZFESTIVAL

03/07/13 In nur 1 Stunde und 18 Minuten ist man mit dem Railjet von Wien-Meidling in Györ (Raab), einer schönen Barockstadt mit ca. 150000 Einwohnern – und mit eigener Balletttradition seit 1979.

Von Wolfgang Stern

013Als die Abschlussklasse der Ungarischen Staatlichen Ballettakademie des Jahrgangs 1977 sich entschied, zusammen zu bleiben und eine eigene Compagnie zu gründen, war dies die Geburtsstunde des Györ-Balletts. Die Stadt Györ wurde deshalb ausersehen, weil dort gerade ein neues Theater gebaut wurde. Und man angelte sich Iván Markó, der damals noch bei Maurice Béjart tanzte, für den Direktorenposten. „Ein Traum erfüllte sich“, so der jetztige Direktor des Balletts, János Kiss, damals als Ensemblemitglied dabei. Man tanzte sozusagen in der oberen Etage, verbuchte große internationale Erfolge und gründete gleichzeitig in Györ eine Ballettschule, die auch von Wiener Jugendlichen wahrgenommen wurde.

011Als man 1991 mit Markó brach, sprang Kiss ein und gab bereits nach nur zweimonatiger Vorbereitungszeit anlässlich des Papstbesuches in NEP-Stadion von Budapest 1991 vor ausverkauftem Stadion sein choreographisches Debüt mit „Die Legende der heiligen Margarete“. Ein voller Erfolg, der Grundstein für die neue Ära der Compagnie werden sollte.

Später ist János Kiss auch – so nebenbei – Direktor des ungarischen Tanzfestivals geworden, das kürzlich seine neunte Auflage erlebte: Ein siebentägiges Festival, dem man im Westen mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, weil man gerade hier die Entwicklung des Tanzes in seinen verschiedenen Facetten bestens verfolgen kann.

Eröffnet hat natürlich das Györ Ballett mit einem beeindruckenden Abend, zum einen mit dem Stück „Durchbruch“ (Choreographie: Velekei László, Musik: Zoltan Kodály), zum anderen mit „Das Glashaus“ (Choreographie: Leo Muji?, Musik: Vitali, Glass, Schubert). Velekeis neues Stück regt zum Phantasieren an – ein Fliegen in einem virtuellen Spinnennetz.

Die Grundidee zum Ungarischen Tanzfestival gilt primär dem gegenseitigen Kennenlernen, es ist dezidiert kein Wettbewerb zwischen den verschiedenartigsten Ballettgruppen, die im Land wirken. An einem weiteren Abend amüsierte das Ensemble des Budapester Operettentheaters (eine der erfolgreichsten Bühnen dieses Genres) mit einer köstlichen, ausgefeilten Stepptanznummer. Die Vielfältigkeit des Tanzes konnte nicht besser durch Beiträge des Madách Theaters 014Budapest, der Theaterballetgruppen aus Szeged, Veszprém oder Szolnok dargestellt werden. Immer wieder tolle Ideen, die auf Traditionellem aufgebaut sind, aber neue, eigene Wege beschreiten und von einer großartigen Palette von jungen, talentierten, ungarischen Choreographen zeigen.

Ein erfreuliches Produkt zeigte die Truppe der Ungarischen Tanzakademie aus Budapest, wo wunderbare Körper zu Musik von Bach, Vivaldi und Merlo in Erscheinung treten konnten. Auf höchstem Niveau tanzte das Ungarische Nationalballett mit „Petite Mort“. Schade, dass die Einheit Ballett-Musik durch übersteuerte Musikpassagen – nicht nur hier – gestört wurde.

012Was aus einem früher nur traditionell agierenden Ensemble wie dem Ungarischen Staatsvolksensemble werden kann, war verblüffend. Elemente des Volkstanzes gehen ineinander mit neuesten choreographischen Elementen, die Musik wechselt zwischen authentischer Volksmusik, Ethno und Avantgarde. Das Stück „Down Moon“, bei dem verschiedene Personen choreographierten, sollte man sich bei einer Gelegenheit im Rahmen eines Budapest-Besuches nicht entgehen lassen.

Am „Rande“ dieses Festivals passierte noch einiges auf der kleinen Bühne und vor dem Theater: Kleine Compagnien aus Novgorod und Izmir gastierten ebenfalls – internationale Kontakte am nationalen Fest. Kiss ist ein feinsinniger Manager und hofft auf künftig mehr Förderungen. Doch wie man schon seit längerer Zeit vom östlichen Nachbarn zu hören und zu lesen bekommt, hat man es derzeit mit einer Regierung zu tun, die „andere“ Wege beschreitet. Kaliber wie Adam Fischer oder András Schiff haben bereits die Konsequenzen gezogen. Für sie sicher eine leichtere Entscheidung als für ein Unternehmen im eigenen Land, wo man auf nahezu jeden Forint angewiesen ist. Das 10. Festival dieser Art (voraussichtlich um den 20. Juni 2014) kann jedenfalls erst konkret geplant werden, wenn die Mittel gesichert sind.

www.gyoribalett.hu, magyartancfesztival.hu
Bilder: magyartancfesztival.hu (1); dpk-W.Stern (2)