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Unerbittlich auf die Katastrophe zu

MÜNCHEN / HEDDA GABLER

29/10/12 Birgit Minichmayr ist Hedda Gabler. Eine junge Frau, die nur auf sich selbst fokussiert ist, die auch eine sechsmonatige Hochzeitsreise kühl als dazugehöriges Faktum wertet. Die Karriere ihres Mannes interessiert sie nur aus der Optik heraus, dass sie ihr dazu verhilft, ihren gesellschaftlichen Status weiter zu verbessern.

Von Oliver Schneider

Die junge Generalstochter Hedda Gabbler hat den biederen Jørgen Tesman (hervorragend gezeichnet von Norman Hacker) geheiratet: ein grundsolider Typ, keiner, der die Welt verändern will, aber mit Aussicht auf eine gute Universitätskarriere. Sicherheit ist wichtig für eine Frau in dieser Zeit. Thea Elvsted, eine frühere Freundin Tesmans, und Ejlert Løvborg, ein früherer Verehrer Heddas, exzessiver Freigeist und Konkurrent Tesmans, bringen mit ihrer Rückkehr in die Heimat das hübsche bürgerliche Kartenhaus zum Einstürzen.

Ein klassizistischer Zimmereingang (Bühne: Annette Murschetz) deutet ebenso wie die Kostüme von Heide Kastler die Zeit der Handlung an. Martin Kušej belässt das Drama damit bewusst in seiner Zeit, denn in den gezeigten Konventionen und vor allem in Heddas Langeweile spiegelt Ibsen typische Probleme des Fin de Siècle.

Martin Kušej hat im Münchner Residenztheater eine ganz und gar nicht zeitgeistige Inszenierung geschaffen, in der er zielstrebig und mit sinnvollen Kürzungen auf die Katastrophe zusteuert. Sie gefällt zunächst dank des hervorragenden Ensembles und packt ab dem Moment, als Hedda Gabler ihre verhängnisvolle Langeweile abstreift und brachliegende Energien zum Verhängnis anderer mobilisiert.

Kušej lässt in Zweieinviertelstunden knallhart die unterschiedlichen Charakterwelten der Personen in einer aufsteigenden Spannungskurve aufeinanderprallen. Wenn Tesmans alte Tante Juliane (Barbara de Koy), mit welcher der junge Mann ein allzu enges Verhältnis pflegt, im Hause ihres Neffen auftaucht, nutzen Hedda und sie jede Gelegenheit, ihre gegenseitige Antipathie zu zeigen. Rabiat trampelt Hedda auf Julianes neuem Hut herum, und die alte Dame lässt keine Gelegenheit aus, ihre Missbilligung für Heddas Lebensweise auch körperlich zu zeigen. Der brave Tesman steht dazwischen, kann sich von der Alten nicht lösen, zumal ihre Schwester im Sterben liebt, und ist doch so stolz auf die junge Gattin.

Die heile Welt bringt das nicht zum Einstürzen. Das passiert erst, als Thea Elvsted (Hanna Scheibe) und Ejlert Løvborg (Sebastian Blomberg) zurückkehren. Blomberg zeigt schon in seinem ersten Auftreten, dass in diesem Løvborg innerlich etwas brodelt. Gegen Alkohol und Sex ist der wissenschaftliche Konkurrent Tesmans nur scheinbar gefeit, was Blomberg mit seinem überkontrollierten Spiel deutlich macht. Als Hedda ihn zum Punsch verführt, kann er nicht widerstehen und geht anschließend mit auf Richter Bracks (Oliver Nägele) Herrengesellschaft. Das Ende ist zumindest für Løvborg klar. Er landet im Bordell.

Thea, die ihren Mann verlassen hat, um Løvborg vor dem erneuten Abdriften in diesen Sumpf zu bewahren und die mit ihm gemeinsam sein zukunftsweisendes wissenschaftliches Werk verfasst hat, wartet verzweifelt mit Hedda in deren Haus. An einem Lagerfeuer, das aber auch keine Wärme in diese zusammengebrochene bürgerliche Scheinidylle zu bringen vermag. Dort holt Løvborg sie am nächsten Morgen mit der Flasche in der Hand ab, die er in einem Zug leert. Das ist auch der Moment des Abends, an dem die Spannungskurve plötzlich steil nach oben zeigt. Bis zu diesem Punkt wirkt alles ein wenig blutleer, wie unter Nebelschwaden.

Erst ab jetzt hat man das Gefühl, wirklichen Menschen zu begegnen. Oder liegt es an der zum Teil überkommenen Thematik, die eine gewisse Distanz schafft? Wenn Løvborg einen Teil der auf einem großen Haufen aufgetürmten Stühle zertrümmert und Thea mit seinem Ausflug ins Etablissement von Madame Diana konfrontiert, fasziniert das Hedda. Noch mehr fasziniert sie, dass dieser Mann vor der Frau, die ihm alles opfern will, behauptet, er habe das Manuskript seiner wissenschaftlichen Arbeit zerrissen. Der Arbeit, mit Hilfe derer er Tesman mit einem Schlag in den Schatten stellen könnte. Er hat es nur im Suff verloren, und der gute Tesman hat es gefunden und mit nach Hause genommen, um es ihm zurückzugeben.

Die Minichmayr darf zeigen, was alles in ihr steckt und läuft dann bis zum Schluss zu Höchstform auf. Beflügelt durch Løvborgs charakterlichen „Befreiungsschlag“ macht Hedda etwas gegen ihre Langeweile und verhindert die Rückgabe des Manuskripts: Sie verbrennt es im Lagerfeuer, als sie wieder alleine ist. Ihrem Mann gegenüber behauptet sie freilich, sie habe damit nur seinen Konkurrenten ausschalten wollen. Naiv nimmt Tesman die Botschaft auf und glaubt die Liebe seiner Frau zu spüren.

Den Tod Løvborgs – sie hat ihm eine Pistole mitgegeben – hat sie auch mitzuverantworten, genau wie alle anderen Katastrophen. Dummerweise war Løvborgs Tod nur ein Unfall. Ein Schuss hat sich in seiner Jackentasche gelöst, noch dazu im Haus von Madame Diana. Wie verzweifelt schreit Hedda, als Richter Brack Tesman, Thea und sie informiert. Wen soll sie jetzt noch heimlich bewundern, wenn sie schon selbst nicht zur Tat fähig ist? Oder ist sie es doch? Anstatt sich von Brack weiter bedrängen und erpressen zu lassen und anstatt ihrem Mann und Thea zuzuschauen, wie sie versuchen, die Notizzettel des Werks Løvborgs für die Nachwelt zu ordnen, unternimmt sie endlich etwas in ihrem Leben und erschießt sich. Tesman geht zur Tagesordnung über und sortiert weiter, als ob nichts gewesen wäre.

Nächste Vorstellungen am 29.10, 4., 11., 16., 20., 21 und 30.11. - www.residenztheater.de
Bilder: Residenztheater / Hans Jörg Michel

 

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