asdf
 

Mit Brecht zurück zu den Wurzeln

REST DER WELT / ZÜRICH / HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE

04/10/12 Kennt man Sebastian Baumgarten nur von seinem Bayreuther „Tannhäuser“, läuft man Gefahr, seinen Inszenierungen mit Vorurteilen zu begegnen. Im Schauspielhaus Zürich überzeugt der Regisseur mit Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“.

Von Oliver Schneider

altBrecht nutzte die Vorlage von Schillers romantischer Tragödie, um aus marxistischer Sicht Börsenspekulationen und Wirtschaftskämpfe vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise 1929 anzuprangern. Johanna Dark stellt sich als Mitglied der "Schwarzen Strohhüte“ (Heilsarmee) an die Spitze der hungernden Arbeitslosen vor den Fleischfabriken Chicagos. Ihr Gegenspieler ist der Fleischfabrikant Pierpont Mauler, der die Börse manipuliert und so den Markt beherrscht.

Dass Brechts Kapitalismuskritik nichts an Aktualität eingebüßt hat, ist ein Allgemeinplatz. Dass auch Brecht und seine geistigen Väter nicht die richtigen Lösungen kannten, weiß man heute aus der Zeitgeschichte.  Aber das Brecht‘sche Theater hat bis heute nichts seine Faszinationsfähigkeit verloren, mit schneller Sprache und klaren Schnitten, Stilisierungen und grelle Überzeichnungen.

Baumgartens Regie merkt man die Schule bei Ruth Berghaus und Einar Schleef an, die selbst Brecht-Schüler waren. Ganz klassisch hält er sich an den Rahmen von Brechts epischem Theater. Auch der Vorhang fehlt nicht. Die Silhouette Chicagos und die Konservenbüchsen der Fleischbarone werden nur angedeutet. Die Protagonisten sind Archetypen, die am Schluss, wenn Johanna sich die Pistole in den Mund steckt und von den Fleischfabrikanten und ihren ehemaligen Kollegen bei der Heilsarmee ungewollt zur Märtyrerin stilisiert wird, nur noch Masken tragen.

Bei aller Treue zu Brecht stellt Baumgarten auch Zeitbezüge her. Migration und Integration sind Themen im heutigen„Chicago“. Man sieht das an Marthas hispanoamerikanischer Abstammung (Alejandra Cordona) – sie ist wie Johanna Soldatin bei den Strohhüten. Auch an den Namen gebenden folkloristischen Hüten lässt sich der Migrationshintergrund ablesen.

Auch amerikanische Klischees bedient die von Thilo Reuter gestaltete Bühne mit Plakaten einer amerikanischen Fast-Food-Kette und einem Saloon, in dem die drei Fleischfabrikanten wie nicht ganz ernst zu nehmende erwachsene Buben wirken. Unglaublich, dass solche Grünschnäbel mit ihren unsauberen Geschäftspraktiken das Schicksal von Tausenden Menschen und ihren Angehörigen in Händen haben. Während Cridle (Jan Bluthardt) stottert, scheint Pierpont Mauler zu lispeln (Markus Scheuermann). Da ist die tatkräftige Möchtegern-Weltverbesserin Johanna  (Yvon Jansen) aus anderem Schrot und Korn, auch wenn sie schließlich wie die von ihr verteidigten Arbeitslosen in der Gosse landet. Von Kopf bis Fuss von Schlamm überzogen steht sie irgendwann vor Mauler, nachdem man sie bei der Heilsarmee vor die Türe gesetzt hat: wegen zu viel fast schon naivem Engagement und zu viel Kritik an den Mächtigen, von denen auch die Hilfespendenden schlussendlich abhängig sind.

Bei Brecht spielt die Musik eine wichtige Rolle. Baumgarten doppelt nach, indem er den Schweizer Jazzpianisten Jean-Paul Brodbeck immer wieder improvisieren lässt. Und was würde besser nach Chicago passen als Jazz? Brodbeck nimmt Brechts musikalischen Sprachduktus wunderbar auf und ermöglicht die nötigen Momente zum Reflektieren.

Baumgarten beweist in Zürich, dass Brecht auch heute aktuell und spannend sein kann, wenn ein richtiger Mix aus Sprachfokussierung und Slapstick gefunden wird. Nun sollte man bloß noch die Schauspieler besser verstehen. Moniert sei an dieser Stelle auch einmal die zu beobachtenden Tendenz im Schauspiel, auf das Erstellen eines Programmheftes, das man auch als solches bezeichnen darf, zu verzichten. Man kann froh sein, wenn man wie in Zürich im billig hergestellten und teuer verkauften Heftchen noch ein Interview mit dem Regisseur findet.

Aufführungen bis 28. November - www.schauspielhaus.ch
Schauspielhaus Zürich / Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014