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Calaf bringt den Gletscher zum Schmelzen

REST DER WELT / MÜNCHEN / TURANDOT

14/12/11 Ein Eishockeyspiel, ein wenig Holiday on Ice, Luftakrobaten, Breakdance-Einlagen, prächtige Kostüme – Carlus Padrissa, Mitbegründer der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus, und sein Regieteam bieten mit „Turandot“ im Münchner Nationaltheater ein Riesenspektakel.

Von Oliver Schneider

Auf einer Sommerseebühne oder in einer antiken Arena mit entsprechenden technischen Möglichkeiten würde sich diese Neuinszenierung gut machen. Die Vorgeschichte ist vorsichtshalber im Programmheft erklärt: Im Jahr 2046 steht Europa unter chinesischer Herrschaft; China hat den einstmals reichen Kontinent aus der finanziellen Krise gerettet. Die neue Weltmacht wird von der alles kontrollierenden Eisprinzessin Turandot beherrscht. Ihre Kommandozentrale ist ein sich immer wieder herabsenkendes Auge, dem durch farbige 3D-Animationen noch etwas mehr Fantastik und Science-Fiction-Atmosphäre verliehen wird. Das Publikum erhält dafür Brillen, die es geräuschvoll aufsetzt, sobald neben den projizierten Übertiteln das entsprechende Zeichen erscheint.

Die auf Geschichten aus Tausendundeiner Nacht basierende Turandot-Erlösung durch Liùs Tod erzählt Padrissa dann fast wie gehabt. Nachdem der fremde Prinz Calaf die von Turandot gestellten Rätsel mit Hilfe seines Smartphones gelöst hat, verlangt er von ihr, dass sie seinen Namen herausfindet, den nur sein Vater und die ihn liebende Liù kennen. „Nessun dorma“, keiner schläft in der von Leuchtreklamen taghell erleuchteten City, wozu Marco Berti den Opernhit ohne Fehl und Tadel stemmt und in der besuchten zweiten Vorstellung dafür lauen Applaus erhielt.

Zumindest das Ende des durch zwei überlange Pausen auf drei Stunden gedehnten Abends gerät zu einem in Erinnerung bleibenden Moment, denn der Regisseur und Maestro Zubin Mehta lassen Puccinis letztes Bühnenwerk nicht mit dem Alfano- oder Berio-Schluss enden, sondern fragmentarisch mit Liùs Opfertod für Calaf. Ekaterina Scherbachenko gestaltet die lyrische Dulderin mit ruhig auf dem Atem liegender Stimme und schöner Pianokultur. Mit dem fragmentarischen Schluss werden Turandot und die Gesellschaft zwar vom kalten Machtgeist erlöst, aber es bleibt offen, ob die Prinzessin und Calaf wirklich ein Liebespaar werden, was auch dramaturgisch eine Stärke des Abends ist. Ein radikaler, unglaubwürdiger Wandel von der eiskalten Machtfrau zur Liebenden wie bei Alfano bleibt dieser Turandot erspart.

Für die Aufnahme dieser Inszenierung in die Annalen reicht dies allerdings nicht aus. Viel Aufwand und wenig Ertrag, so lässt sich die zweite Münchner Saisonpremiere zusammenfassen. Von dem, was im – wie häufig in München – ausgezeichneten Programmheft über das Werk selbst und kontextual erläutert wird, findet sich zu wenig auf der Bühne wieder. Neben dem musicalartigen Spektakel sind vielleicht noch die farbenprächtigen, typisierten Kostüme und Gesichtszeichnungen als Anleihen aus der chinesischen Oper zu nennen (Kostüme: Chu Uroz). In Summe ein Opernabend mit viel Oberflächlichkeit.

Immerhin entschädigen neben der Russin Ekaterina Scherbachenko auch die anderen Protagonisten und die klangstarken Chöre (Einstudierung: Sören Eckhoff). Jennifer Wilson besitzt vor allem das nötige Standvermögen für die Prinzessin. Sie schleudert die gleissenden Cs in der Rätselszene mühelos ins Publikum, währenddessen ihr Eisberg schmilzt und sie sich schließlich auf gleicher Höhe wie ihre geknechteten Untertanen befindet. An Kraft fehlt es auch Marco Berti als Calaf nicht, dafür ein wenig an Farben und dynamischen Möglichkeiten. Er sucht den Effekt leider in alter Manier in der großen Pose. Ausgezeichnet besetzt sind die drei Minister (Fabio Previati, Kevin Conners, Emmanuele D’Aguanno), die sich als einzige darum bemühen, durch ihre Reflexionen und mahnend ein wenig spielerische Aktion in den Abend einzubringen.

Noch jemand trägt einen gebührenden Anteil an der Rettung des Abends: Zubin Mehta, der nach fünf Jahren in den Graben der bayerischen Staatsoper zurückgekehrt ist. Wer, wenn nicht Mehta, wäre in der Lage, die Kontraste der Turandot-Partitur mit ihren pompösen Massenszenen und den zarteren, poetischen Momenten wirkungsvoll herauszuarbeiten.

Auch bei größter klanglicher Prachtentwicklung tariert Mehta die Orchesteremotionen perfekt aus, so dass das Bühnengeschehen vom perfekten Bayerischen Staatsorchester jederzeit unterstützt wird, ohne von den Klangwogen zugedeckt zu werden. Jubel gab‘s für Mehta und das Orchester schon nach den Pausen.

Weitere Vorstellungen: 14., 17. und 20. Dezember (Dirigent am 20. Dezember: Asher Fish). 11., 14., 18. und 21. April sowie 26. und 29. Juli 2012 jeweils mit  Dan Ettinger am Pult. - www.staatsoper.de

 

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