James Bond befreit Konstanze aus dem Harem

REST DER WELT / GENF / ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

18/11/11 Wenn das Orchester zur Ouvertüre von Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ ansetzt, landet Belmonte alias James Bond mit einem Fallschirm auf der gut gesicherten Mauer von Selims Anwesen, das der einäugige Aufseher Osmin mit einer Schar von Security-Männern be- und überwacht.

Von Oliver Schneider

altDie junge schwedische Regisseurin Mira Bartov interessiert sich für das Aufeinanderprallen traditioneller und aufgeklärter Menschenbilder. Dafür braucht sie kein pseudo-türkisches Kolorit. Befreiung heisst hier Befreiung aus dem selbst geschaffenen, mentalen Gefängnis. Dank der Anleihen aus dem Umfeld des Agenten 007 gelingt es ihr und ihrem Regieteam, die inneren Konflikte und Lösungsprozesse der Personen – vor allem Konstanzes – abwechslungsreich umzusetzen.

Bassa Selim lebt sein traditionelles Frauenbild in einer schicken modernen Villa mit Pool und Fitnesspark aus, für deren Park der Bühnenbildner Gunnar Ekman bezeichnenderweise „Buchsbaum-Plastiken“ in Form weiblicher Akte oder Körperteile geschaffen hat.

Die Filmassoziationen und die dosierte Anzahl von Slapstick-Einlagen führen auf kurzweilige und höchst amüsante Art zu den zentralen Fragen. Nur wenige Male scheint die Fantasie mit Mira Bartov durchzugehen. Das ist in den beiden Arien Osmins der Fall, wenn die seine eigentliche Schwäche kaschierenden Drohgebärden und seine Rachsucht  mit choreographischen Einlagen verdoppelt werden. Auch die Tatsache, dass Konstanzes Arien im zweiten Akt noch bebildert werden, ist eine unnötige Verdopplung, die zu wenig Vertrauen in das Werk und den Zuschauer zeigt.

altZumal Laura Claycomb alles mitbringt, um diese beiden Arien zu musikalischen Höhepunkten zu machen. Ihr volltönender Sopran besitzt auch in der Höhe ausreichend Sicherheit und Stabilität. Sie führt ihn in der Martern-Arie mit leidenschaftlicher, aber kontrollierter Attacke. Sicher, es gibt Sängerinnen, die die Partie noch müheloser bewältigen, dafür gelingt es ihr umso eindrücklicher, Konstanzes innere Zerrissenheit zu interpretieren. Daniel Behle ist nicht der unbesiegbare Held James Bond der frühen Filme, sondern einer, dessen traditionelles Frauenbild sich verändert hat. Ob das reichen wird, um mit Konstanze glücklich zu werden, nachdem der Bassa ihnen beiden die Freiheit geschenkt hat? Behles lyrischer Tenor besticht auf jeden Fall mit Stimmschönheit, subtiler Technik und im poetischen Ausdruck.

Norbert Ernst darf als sein Diener Pedrillo den auch im Erwachsenen wohnenden Spieltrieb mit ferngesteuerten Autos und Helikoptern ausleben. Wenn er sich im zweiten Akt selbst zum Kampf motiviert und mühelos die vertrackten Sprünge meistert, ist im Übrigen hörbar, wie sich seine Stimme in den letzten Jahren weiterentwickelt hat.

Der Osmin gehört zu den Paraderollen von Peter Rose, mag ihm auch ein bisschen die Schwärze fehlen. Er sang die Partie auch in Stefan Herheims umstrittener Salzburger Festspielproduktion. Für die kurzfristig erkrankte Teodora Gheorghiu als Blonde sprang am Premierenabend die Amerikanerin Rachele Gilmore ein, die mit ihrer gestalterischen Ausstrahlung und ihrem lieblich weich grundierten Sopran eine spritzig-lebhafte, selbstbewusste Dienerin gab. In den weiteren Vorstellungen wird Joanna Mongiardo die Rolle übernehmen. Peter Nikolaus Kante ist schliesslich der großherzige Selim.

Leider erfährt der runde Gesamteindruck durch die Orchesterleistung Kratzer. Davon, dass Jonathan Darlingten unter anderem an der Deutschen Oper am Rhein in der Vergangenheit für spannende Mozart-Abende gesorgt hat, war am Mittwochabend in der Rhône-Stadt wenig zu hören. Punktuell herausgearbeitete Finessen blieben Randerscheinungen in einem pauschalen Klangbild ohne Feuer, in dem die Entwicklung der letzten Jahrzehnte kaum Niederschlag gefunden hat. Zudem war die Balance zwischen Bühne und Graben nicht immer optimal.

Weitere Vorstellungen 18., 20., 22., 25. und 27. November - www.geneveopera.ch
Bilder GTG / Vincent Lepresle